Warum Neopopulismus?

Dieses multidisziplinäre Forschungsprojekt erforscht das weltweit zu beobachtende Phänomen des Neopopulismus, weil dieser droht, Demokratien zu zerstören und die Gestaltung der Zukunft zu verunmöglichen. Neopopulismus und der Zulauf für Autokratien spannen wie ein regressiver Zeitgeist zwischen revisionistischen Fluchten in idealisierte Vergangenheit und der progressiven Klimakatastrophe. Folgende vier Teilprojekte, die in der klassischen Populismusforschung meistens als getrennte Bereiche unterschiedlicher Disziplinen erforscht werden, bilden in diesem Forschungsprojekt einen Gesamtzusammenhang:

1. NEOSTORY

Unter dieser Kategorie werden Begriffe wie Wende und Zeitenwende kritisch hinterfragt und der Frage gegenübergestellt, inwieweit eine fakten- und relevanzbasierte Revision der bestehenden Historiographie zur Wende der 1980er-90er Jahre nötig ist, um die Entwicklung hin zur gegenwärtigen Blüte von Neopopulismus, Autokratie und Demokratieabbau besser zu verstehen. Für diese Trends typisch sind revisionistische Flucht in die Vergangenheit und zu restaurativer Nostalgie. Es wird hier aber auch das Grundbedürfnis nach Narration, Identität und Zukunftsgeschichten erörtert.

2. NEOPOLIS

Die Dynamik des Neopopulismus entfaltet sich vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Metamorphose des Politischen, während Trägheitsmomente des methodologischen Nationalismus fortbestehen. Im Zusammenspiel dieser beiden Effekte — Verwässerung etablierter Staatlichkeit und pseudo-nationalistischer Kontraktion — ist eine weltweite Zunahme von Autokratisierung zu beobachten. Die Herausforderungen der Meta-Katastrophe des Klimawandels sind jedoch global und kosmopolitisch — und können deshalb unmöglich von neopopulistischen Autokraten gelöst werden. Der komplexe Revisionsbedarf dieses kosmopolitischen Kontexts betrifft vor allem traditionelle Sicherheitsparadigmen aus der nationalstaatlichen Ära, die immer in erster Linie die Sicherheit des jeweiligen Nationalstaats bedeuten. Vor diesem Hintergrund wird das Imperativ Interspezifischer Sicherheit entwickelt: Sicherheit für alle Spezies und Aspekte des Klimasystems sind alternativlos, aber selbst im lokalen Rahmen noch unterentwickelt. In den politischen Projekten neopopulistischer Regime spielt interspezifische Sicherheit allenfalls eine negative Rolle.

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3. NEOVOX

Öffentliche Meinungen konnten schon seit der Entstehung der frühen Massenmedien des 20. Jahrhunderts problematisch für Demokratien werden. Mit dem Meinungskapitalismus oligarchischer Plattformen des Big Tech, neuen Formen der Zensur sowie dem opinion engineering autokratischer Regime hat diese Entwicklung allerdings ein völlig anderes Volumen gewonnen. Vor diesem Hintergrund werden Öffentliche Diplomatie und Kulturdiplomatie neopopulistischer Regime erforscht, denen demokratische Parteien erschreckend strategie- und planlos gegenüberzustehen scheinen.

4. NEOMOTION

Eines der schwierigsten, aber höchst relevanten Aktionsfelder von Neopopulisten besteht in der Bearbeitung und Instrumentalisierung von Emotionen und Affekten, denen mit rationalen Argumenten nicht beizukommen ist. Ob religiöse Gefühle und Identität, Trauma und Horror Vacui, Furcht vor Anderen und Nonkonformismus, Kränkung und Ressentiment: sie alle stellen zusammen eine „psychologische Großmacht“ dar, die unter dieser Kategorie erfasst werden.


Letzte Beiträge

Hermannova: Grounded Theory from Berlin and Bosnia

Neopopulismus ist das erste von drei Teilprojekten von Hermannova: Grounded Theory from Berlin and Bosnia. Nachdem unter Neopopulismus eine vertiefte Problemanalyse auf das Zusammenspiel von Geschichtsrevisionismus, Klimawandel und die illiberalen, populistischen Bewegungen in Europa sowie weltweit erfolgt ist, geht es in Teil zwei (Berlin) und Teil drei (Bosnien) des Projekts um zwei unterschiedliche Mikro-Ebenen: zum einen um Erfahrungswerte im superdiversen Berlin (mit Schwerpunkt Neukölln), zum anderen in den erprobten Differenzgemeinschaften des Balkans (mit Schwerpunkt Krivajatal in Bosnien-Herzegowina). In der Synthese aller dreier Projekte sollen Policies und Empfehlungen für das interspezifische Zusammenleben in Differenz unter Berücksichtigung der Bedingungen der Meta-Katastrophe Klimawandel erarbeitet werden.