Open Science Inkubator

Das gesamte Projekt Hermannova: Grounded Theory from Berlin and Bosnia versteht sich als Open Science Inkubator: darunter wird ein digitaler, zugänglicher und möglichst transparenter Ort des Prozesses verstanden, wo Unreifes allmählich zur Reife gelangt. Der Weg zur Reife — worunter dann auch klassische Publikationsformen, Artikel in Fachzeitschriften, in der Presse, aber auch Beiträge zur wissenschaftlichen Lehre verstanden werden können — wird über Science Blogging und Open Research beschritten. Dabei werden die Prinzipien der Open-Access-Bewegung und des weiteren Felds von Open Science berücksichtigt und zentrale, genuin politische Probleme des Meinungsbildungsprozesses adressiert, wie unter (5) noch genauer dargestellt wird. 

Doch zunächst sollen in Abschnitt (2) einige der wichtigsten Wegmarken, Policy Papers und Deklarationen der Open-Access-Bewegung, Open Science sowie aus dem Diskursfeld Public History kurz dargestellt werden. Public History verdient hier aufgrund der Zentralität revisionistischer Sendung in neopopulistischen Regimen besondere Bedeutung — auch, weil damit die Frage nach der Rolle von Open-Science-Vertretern als anti-populistischer Gegenansatz aufgeworfen wird. Danach (3) werden zentrale Punkte aus einem öffentlichen Brief der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem Titel Information für die Wissenschaft Nr. 79 diskutiert, wonach unter der Praxis von Open Science nicht weniger als ein kultureller Wandel zu verstehen ist — womit jedoch auch Risiken und Schwierigkeiten einhergehen, besonders hinsichtlich der Qualitätssicherung und wissenschaftlicher Standards. Einige dieser Probleme werden im folgenden Abschnitt (4) über proprietäre Software und das Problemfeld Soziale Medien noch vertieft, wobei diese Thematik so komplex und wichtig ist, dass die Auseinandersetzung in eigenen Blog Posts unter den Kategorien Open Science und Neovox ausgetragen wird — nach Möglichkeit in Austausch mit anderen Science Blogs, wie dem Iranistik-Blog Vezvez-e kandu. Im Anschluss (5) werden die Probleme der Digitalen Mündigkeit für politische Gemeinwesen vulnerabler Differenzgemeinschaften (siehe Neopolis) genauer definiert und der Ansatz des Open Science Inkubators dazu dargestellt. Nach der knappen Zusammenfassung (6) findet sich noch eine Übersicht der hier genannten Referenzen (7), die sich im Laufe der Zeit erweitern wird.

2. Wegmarken der Entwicklung von Open Access, Open Science und Public History

[Dieser Abschnitt wird gerade überarbeitet; dazu entsteht gerade eine Blog Post Serie unter dem Titel Science Blogging in the humanities: an improvable relationship?, die im Nachgang eines ersten Workshops zum Thema Open Science und Science Blogging entstanden ist. Alle Beiträge der Serie werden unter der Kategorie Open Science abrufbar sein.]

3. Open Science als Teil der Wissenschaftskultur

Zu Open Science hat sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihrer Ausschreibung Information für die Wissenschaft Nr. 79 (vom 17. Oktober 2022) unter dem Titel Open Science als Teil der Wissenschaftskultur positioniert. Die DFG äußert sich dabei mit differenziertem Blick sowohl zu den Potenzialen, als auch zu den Herausforderungen, denen Open-Science-Projekte gegenüberstehen. Neben einer klaren Bejahung der Relevanz und des Weiterentwicklungsbedarfs von Open-Science-Prinzipien und -Praktiken, werden von der DFG auch negative Nebeneffekte genannt, wie Preissteigerungen im Publikationssektor oder die Abhängigkeit der Wissenschaft von großen Konzernen.

In diesem Problemfeld lagern gewisse „Fallen“, die in der routinierten Praxis oft übersehen werden können: so etwa der Lock-in-Effekt bei der Nutzung proprietärer, nicht-freier (geschlossener) Software. Dies beginnt bei wenig hinterfragten Praktiken im Publikationssektor, angefangen beim eigenen Text-Editor: es gibt weiterhin traditionelle Redaktionen, die von Autor:innen das Word-Format einfordern und Texteinreichungen ablehnen, die mit freier Software erstellt wurden, weil Probleme in der Kompatibilität beim Review-Verfahren zu erwarten sind.

In allen Teilprojekten von Hermannova (darunter im vorliegenden Neopopulismus-Projekt) wird versucht, diese und weitere Probleme in einem Prozess des „learning by doing“ zu umschiffen: es wird in erster Linie die offene, freie Software WordPress verwendet, ergänzt um weitere freie Angebote des Content Managements. Außerdem bietet der Science Blog eine Plattform für die Auseinandersetzung mit den Kontroversen rund um das Thema Open Science, insbesondere im Bereich der Digital Humanities. Die Abhängigkeit von großen Konzernen ist keineswegs alternativlos: es besteht ein reiches Angebot an plattformunabhängiger Software und sogar freien Betriebssystemen.

4. Proprietäre Software und Problemfeld Soziale Medien

Weiterhin nennt die DFG die „Gefahr einer problematischen Entwicklung von Anreizsystemen, die statt der Qualität der Forschung deren öffentliche Wahrnehmung in den Fokus stellen“ [Link]. Auch diese bestehende, um sich greifende Problematik, die mit den Begriffen der Aufmerksamkeitsökonomie und der Aufmerksamkeitskrise — oder sogar als Suchtproblematik — beschrieben worden ist (Smith 2022; Lanier 2020) haben mit der Nutzung proprietärer, geschlossener und darüber hinaus algorithmisch manipulativer Software zu tun, die unter der Bezeichnung Social Media firmiert. Weil (öffentliche) Meinungen in einem proprietären, intransparenten und enorm gewinnsteigernden Verfahren kapitalisiert werden, wird im Forschungsbereich NEOVOX des Neopopulismus-Projekts dafür der Arbeitsbegriff des Meinungskapitalismus verwendet, der auf Nick Srniceks Plattformkapitalismus aufbaut (Srnicek 2018). Eine knappe Auseinandersetzung mit diesen Begriffen findet sich in einem Blogpost vom 27. Januar 2023.

5. Digitale Mündigkeit und die Neopolis

Eine besondere Herausforderung stellt mangelnde digitale Souveränität als politisches und gesamtgesellschaftliches Problem dar, wie unter Idee & Konzept für den Forschungsbereich NEOVOX bereits angesprochen. Diese Problematik wirkt sich auf alle anderen Forschungsbereiche des Neopopulismus-Projekts (NEOSTORY, NEOPOLIS, NEOMOTION) gleichermaßen aus: autokratisches Lernen, Oligarchiebildungsprozesse, die Diffusion geschichtsrevisionistischer Sendung, demokratische Meinungsbildungsprozesse unter Bedingungen mangelnder digitaler Mündigkeit (und Demokratieverwässerung) sind davon ebenso betroffen wie der öffentliche Umgang mit dem anthropogenen Klimawandel. Auch hier zeigt sich deutlich eine globale, kosmopolitische Komplizenschaft, die weit über nationalstaatliche Rahmen und Souveränitätskonzepte ausgreift.

6. Zusammenfassung

Als vorläufige Zusammenfassung nimmt Open Science im Open Science Inkubator Hermannova und ihres ersten Teilprojekts Neopopulismus (sowie der noch zu entwickelnden Teilprojekte zu Berlin und Bosnien) auf zwei Ebenen eine ganz zentrale Bedeutung ein.

Erstens ist Offenheit eine theoretische Perspektive des analytischen Blicks auf das Phänomen des weiterhin zunehmenden Neopopulismus, der nur in enger Interdependenz mit der oben skizzierten medialen Dynamik zu begreifen ist.

Zweitens bliebe diese Perspektive womöglich verstellt, wenn Open Science nicht auch zur Praxis des Forschens würde. Gerade das Lernen und Aneignen von Open-Science-Praktiken durch Science Blogging (sowie die Verwendung freier Software mit offenem Code) ermöglicht den Blick auf das, was nicht Open Science ist: geschlossene, anti-politische, nicht-partizipative Systeme. Geschlossene Systeme sind auch neopopulistischen Denkweisen zueigen, die sich durch Verknappung, Manipulation, Desinformation, Nicht-Faktizität und Selektivität auszeichnen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Nutzung von Social Media und proprietärer, plattformkapitalistischer Software an sich „neopopulistisch“ wäre: dennoch hat sich gezeigt, wie Constanze Kurz (2018) vom Chaos Computer Club (CCC) in einem DLF Hörsaal-Vortrag betont hat, dass besonders Länder mit großer Verbreitung von sogenannten Social Media wie Facebook und Twitter (z.B. Indien, Brasilien, USA) besonders stark von Desinformationskampagnen betroffen seien. Sie spricht sich daher auch gegen den Begriff „Social Media“ aus, da es sich im Kern und in der Funktionsweise um Werbeplattformen handele (Kurz 2018). In teils gesottener Wortwahl teilt auch Jaron Lanier (2018; 2020) gegen Social Media aus, wobei er das Phänomen Silicon Valley selbst mit aufgebaut hat und damit aus Insider-Perspektive argumentiert. Laut Lanier macht Social Media „Politik unmöglich“ (2020: 153 ff.).

7. Referenzen

Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Taschenbuch.

Beck, Ulrich (2016). The Metamorphosis of the World. Cambridge/Malden: Polity Press.

Deutsche Forschungsgemeinschaft. (2022). Open Science als Teil der Wissenschaftskultur. Positionierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.7193838

Kurz, Constanze: Wie Soziale Medien uns manipulieren (Teil der Veranstaltungsreihe „Wahrheit, Populismus, Internet — FAKE NEWS und Macht im digitalen Zeitalter), in: Dlf Nova vom 5.12.2018, URL: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/h%C3%B6rsaal-wie-soziale-medien-uns-manipulieren (zuletzt abgerufen am 7.10.2022).

Kurz, Constanze: Desinformation mit technischen Mitteln, Vortrag von Dr. Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club [CCC], 4.12.2018, URL: https://www.ub.uni-koeln.de/events/2018/fakenews/index_ger.html (zuletzt abgerufen am 7.10.2022).

Lanier, Jaron (2018). Ten arguments for deleting your social media accounts right now. New York: Henry Holt and Company.

Lanier, Jaron (2020). Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Smith, Justin E. H. (2022). The Internet Is Not What You Think It Is: A History, A Philosophy, A Warning. Princeton & Oxford: Princeton University Press.

Srnicek, Nick (2018 [2017]): Plattform-Kapitalismus. Hamburg: Hamburger Edition.

Tanner, Ariane: Anthropozän, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 3.5.2022, URL: http://docupedia.de/zg/Tanner_anthropozaen_v1_de_2022 (zuletzt abgerufen am 21.7.2022).