Idee & Konzept

Dieses Open-Science-Projekt erforscht die globale Komplizenschaft von Revision und Revisionismus, Klimawandel und Demokratieverlust, Digitale Revolution und Populismus, Identität und Angst vor Weltverlust am Beispiel Europas. Welche Resilienzen und Strategien müssen Differenzgemeinschaften entwickeln, um sich gegen den illiberalen Trend in eine überhitzte Zukunft durchzusetzen? Wie können eine globale Perspektive und grenzübergreifendes Lernen helfen, dabei die Interessen aller Erdbewohner zu berücksichtigen — ob menschliche, ob nicht-menschliche?

Aus dieser Komplizenschaft, so die Leitthese des Projekts, speist sich die Welle von Neopopulismus, die sich besonders das letzte Jahrzehnt hinweg auf globaler Ebene beobachten lässt. Dieser neue Populismus, der hier aus noch genauer zu beschreibenden Gründen mit Neopopulismus bezeichnet wird, geht mit schwerwiegenden gesellschaftlichen und naturräumlichen Konfliktpotenzialen einher. Besonders deutlich tritt dies in vulnerablen Differenzgemeinschaften der Gegenwart hervor — ob in Berlin, in Bosnien oder anderswo. Das Projekt Neopopulismus ist das erste von drei Teilprojekten von Hermannova: Grounded Theory from Berlin and Bosnia.

Nur über eine interdisziplinäre Durchdringung des Gesamtzusammenhangs der genannten Komplizenschaft, so die Hypothese des Gesamtprojekts, lässt sich eine zukunftsabgewandte, illiberale Dynamik schließlich aufbrechen. Die Spannungsverhältnisse der neopopulistischen Dynamik lassen sich in folgenden vier Gegensatzpaaren raffen, die auch strukturierend für den Aufbau von Neopopulismus.de sind:

Erstens steht die unbewältigte, aber notwendige Revision über die Wendezeit zum Ende des 20. Jahrhunderts dem reaktionären, populistischen Revisionismus der Gegenwart gegenüber. Deshalb spielt Geschichte eine zentrale Rolle, und zwar sowohl in einem historiographischen Sinn, nämlich auf der Ebene der historischen Gewordenheit eines kosmopolitischen Prozesses, der zur heutigen Situation geführt hat, als auch auf diskursanalytischer und sozialpsychologischer Ebene – wenn Geschichte instrumentalisiert, selektiv geformt und therapeutischen oder politischen Bedürfnissen entsprechend umgeschrieben wird. Dieser Bereich wird hier mit der Kategorie NEOSTORY bezeichnet.

Zweitens befindet sich das politische Organisationsprinzip von Nationalstaatlichkeit in hoher, kosmopolitischer Metamorphose unter den Bedingungen der progressiven Meta-Katastrophe des anthropogenen Klimawandels — während gleichzeitig die Trägheit der Institutionen und das Denkparadigma des methodologischen Nationalismus fortwirken. Beiträge zu diesem Bereich finden sich unter der Kategorie NEOPOLIS.

Drittens gedeiht auf dieser Grundlage ein (Neo-)Populismus, der zwar grundsätzlich dem klassischen Muster von Mobilisierung der vox populi gegen die (vermeintliche) Elite folgt, aber durch die Digitale Revolution und den Plattform- und Meinungskapitalismus neuen Gesetzmäßigkeiten und Dynamiken unterliegt, mit denen jedoch eine Mehrzahl politisch mündiger Bürger:innen nicht vertraut ist. Dazu mehr unter der Kategorie NEOVOX.

Viertens instrumentalisieren grenzübergriffige Neopopulisten in destruktivem Maß Emotionen und Affekte, was durch einen Mangel an politischen Zukunftsperspektiven verstärkt wird. So setzen neopopulistische Akteure auf ein breites Repertoire sozialpsychologischer, religiöser, transzendenter, geschlechtlicher und weiterer affektiver Kategorien, die Zukunfts- und Weltverlustängste zu ihren eigenen Gunsten verstärken. Beiträge zu diesem Bereich sind unter der Kategorie NEOMOTION zu finden.

Hermannova: Grounded Theory from Berlin and Bosnia

Neopopulismus ist das erste von drei Teilprojekten von Hermannova: Grounded Theory from Berlin and Bosnia. Nachdem unter Neopopulismus eine vertiefte Problemanalyse auf das Zusammenspiel von Geschichtsrevisionismus, Klimawandel und die illiberalen, populistischen Bewegungen in Europa sowie weltweit erfolgt ist, geht es in Teil zwei (Berlin) und Teil drei (Bosnien) des Projekts um zwei unterschiedliche Mikro-Ebenen: zum einen um Erfahrungswerte im superdiversen Berlin (mit Schwerpunkt Neukölln), zum anderen in den erprobten Differenzgemeinschaften des Balkans (mit Schwerpunkt Krivajatal in Bosnien-Herzegowina). In der Synthese aller dreier Projekte sollen Policies und Empfehlungen für das interspezifische Zusammenleben in Differenz unter Berücksichtigung der Bedingungen der Meta-Katastrophe Klimawandel erarbeitet werden.