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Engagiertes Schreiben in Wissenschaft und Literatur: zwischen Verstehen und Wirkung (I)

Der Titel dieses Beitrags will auf eine scheinbar zeitlose Frage hinaus, mit der sich wahrscheinlich die meisten engagierten Schreibenden immer wieder auseinanderzusetzen haben:

Kann durch Schreiben überhaupt erreicht werden, was ursprünglich zum Schreiben motiviert hat? Wie sehr geht es beim engagierten Schreiben um Schreiben und Verstehen – oder steht die Wirkung des Geschriebenen von Anfang an im Vordergrund?

Doch bevor es um diese eigentlichen Fragen gehen kann, wäre natürlich erst noch zu klären, was in diesem Essay unter engagierten Schreibenden zu verstehen ist. Darunter ist natürlich grundsätzlich alles mögliche vorstellbar: engagiert schreiben können investigative Journalistinnen und Journalisten1Im Sinne barrierefreier Sprache verwende ich klassische Kollektiva sowie ihre Pluralformen und verzichte auf sogenannte gendersensible Schreibweise, obwohl ich manchmal generisches Femininum verwende. Da ich aus queerer Perspektive schreibe, weise ich mögliche Dünkel oder Vorwürfe zurück, nicht „gendersensibel“ zu sein. Nach meinem Verständnis und meiner Erfahrung wird die außersprachliche Welt nicht gendersensibler oder gerechter, indem klassenspezifische Soziolekte geschaffen werden, die bewusst und unbewusst stark mit Barrieren angereichert werden, weil lexikalisierte, geschlechtslose Morphologie mit Geschlechterkategorien verwechselt wird. Man darf freilich anderer Meinung sein, und im Übrigen halte ich es für eine Frage der Ästhetik und des Geschmacks. oder öffentlichkeitswirksame Aktivistinnen und Aktivisten jeglicher Couleur, deren Aktivismus sich schreibend ausdrückt; Sachbuchautorinnen und -Autoren zu Themen, die sie aus eigenem Sendungsbewusstsein anderen nahebringen möchten; vielleicht können sogar Internet-Aktivistinnen und -Aktivisten („Slacktivism“), deren Aktivismus im Kern auch aus geschriebenen Botschaften besteht, zur weitesten Gruppe engagierter Schreibender gezählt werden; und viele mehr.

Mir geht es hier aber nicht um alle vorstellbaren Formen aktivistischen, motivierten oder sendungsbewussten Schreibens – und am allerwenigsten um Textsorten, die zweifellos wirken, indem sie über plattformkapitalistische Algorithmen mit ihren Buzzwords und Hashtags verstärkt und über sogenannte Soziale Medien propelliert werden; damit setze ich mich unter der Kategorie NEOVOX auseinander, werde aber ganz zum Schluss dieses Essays auch noch einmal auf die nicht ausblendbaren Konsequenzen dieser neuen Medialisierung für das Schreiben insgesamt zurückkommen.

Hier betrachte ich unter engagierten Schreibenden insbesondere zwei Gruppen: erstens geht es mir, quasi in eigener Sache als permanent schreibender Forscher und Befürworter von Open Science, um forschende Schreibende also um Akademiker, die in ihrer Forschung und ihrem Schreiben einer starken intrinsischen Motivation folgen. Zweitens geht es mir aber auch um literarische Schreibende, das heißt um Autoren von Romanen oder auch Lyrik, die sich mehr oder weniger abstrakt, semi-fiktional oder wie auch immer verfremdend als Autoren zu historischen, politischen und sozialen Thematiken ausdrücken, dabei aber nicht dem Genre akademischen Schreibens oder der Sachbuchliteratur zuzurechnen sind.

Beiden Gruppen ist gemein, dass sie sich nicht der Illusion hingeben, bei ihrem Schreiben könnte es sich um etwas rein Sachliches, rein Faktisches, nur auf Daten Bezogenes handeln; dass es also um das Pragma ganz allein ginge. Diese Illusion betrifft naturgemäß in viel stärkerem Maße die erste Gruppe der akademisch Schreibenden als die zweite Gruppe der Literaten, weil das Ideal der alleinigen Bezogenheit auf Fakten quasi zum Berufsethos erster gehört. Beide Gruppen können dennoch engagierte Schreibende sein, wie ich argumentiere, auch wenn sie üblicherweise durch Genregrenzen getrennt gehalten werden. Es ist nicht mein Ziel, Genregrenzen in Frage zu stellen oder aufzusprengen; es geht mir lediglich darum, die Gemeinsamkeiten in der engagierten Haltung zum Prozess des Schreibens und zur Wirkung des Geschriebenen herauszustellen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich mit der Frage nach einem produktiven und potenziell gewinnbringenden Verhältnis zwischen Literatur und Wissenschaft beschäftige, gleichzeitig ohne dabei die Risiken und Schattenseiten des Engagements auszublenden: darum ging es auch schon in meinen Beiträgen über das KROKODIL-Festival in Belgrad 2021, einem Literaturfestival, wo sich Historiker und Literaten auf einem gemeinsamen Panel mit Fragen nach wahrhafter und revisionistischer Verarbeitung jüngerer Geschichte durch Schreibende beider Gruppen auseinandergesetzt haben. Darum ging es auch in einem in den Südosteuropa Mitteilungen veröffentlichten Essay unter dem Titel Faktizität, Identität und Emotionalistät: Kulturelle Strategien zum Umgang mit Genozid-Leugnung im Fall Srebrenica, sowie in einem kurzen Vortrag über Fiktionalität und Wahrheit beim Gebrauch der Trope der Jugend in politischen Sprechakten. Wie ich in diesen und anderen Beiträgen unter anderem argumentiert habe, findet einerseits auf dem literarischen Feld Missbrauch historischer Themen statt; andererseits bieten aber gerade die Literatur und ihre Subgenres Populärkultur und Film wichtige und vor allem wirkmächtige Möglichkeiten, wissenschaftlich fundiertes Wissen zu kanalisieren und außerhalb wissenschaftlicher Sprache zu popularisieren. Ein Beispiel einer höchst literarischen (und abstrakten) Auseinandersetzung mit einer zeitgeschichtlichen Thematik, nämlich der Frage nach dem Fortleben der Verschwundenen und Vermissten im Zuge des Bosnienkrieges (1992-1995) findet sich im Roman Fang den Hasen der Autorin Lana Bastašić, wie ich in einer Rezension auf dem Blog- und Buchprojekt Bosnien in Berlin diskutiert habe.

Hier will ich diese Auseinandersetzung auf eine auf das Schreiben fokussierte Weise vertiefen, indem ich die Schreiberfahrung erfahrenerer Schreibender – besonders Hannah Arendts sowie des italienisch-südtirolerischen Schriftstellers Joseph Zoderers – aus zwei Interviews aus den Jahren 1964 und 1988 über ihre Schreibpraxis betrachte. Beide haben uns meines Erachtens (nach wie vor) viel über das Schreiben zu sagen – und zwar nicht nur zur eigenen, sich über die Zeit verändernden literarischen Schreibhaltung. Beide gehen im jeweiligen Interview auf die Frage ein, welches Gewicht das Schreiben als Vorgang des Denkens und Verstehens einnimmt, und in welchem Verhältnis dieser Prozess zur Wirkung des Geschriebenen steht. Beider Erfahrung versuche ich in diesem Essay für die eigene Erfahrung als weitaus weniger reifer Schreibender nutzbar zu machen.

Wie Akademiker zu den Daten kommen

Doch kommen wir zunächst zu einem Dilemma der Geistes- und Sozialwissenschaften, das eng mit dem wissenschaftlichen Theorem der Faktizität zusammenhängt. Die Tatsache, dass im wissenschaftlichen Feld faktenbasiert geschrieben wird, verleitet forschende Schreibende aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie ihre Leserschaft immer wieder zum Trugschluss, der Weg hin zu den Daten könne getrost ausgeblendet werden; zwar natürlich nicht in dem Sinne ausgeblendet, dass die Datenerhebung nicht systematisch dargelegt würde: diese gehört unter Methodologie ins wesentliche Standardrepertoire geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschungsdesigns. Ausgeblendet wird viel mehr die Motivation der Forschenden zur Forschung nach genau diesen Daten und Fakten, wodurch die persönliche Haltung der Forscherin oder des Forschers zu einer Hintergrundangelegenheit wird.

Damit sind Fragen wie diese gemeint: Warum interessiert sich etwa Forscherin Annika X ausgerechnet für das Schicksal einer sprachlich-religiösen Minderheit in Südosteuropa? Warum forscht sie nicht zum Bestandsrückgang der Meeressäuger im Nordatlantik? Oder, um die Frage etwas nachvollziehbarer zu machen: Wieso entscheidet sich Forscher Sebastian Y zu einer Auseinandersetzung mit einem innerislamischen theologischen Konflikt auf der Grundlage von Manuskripten aus dem 16. Jahrhundert – und warum wendet er sich nicht Konfessionskonflikten in Kontinentaleuropa des gleichen Zeitraums zu? Ich meine diese Fragen nicht diskreditierend, wie man sie vielleicht verstehen könnte – sondern es geht mir ganz aufrichtig darum zu verstehen, wie das Interesse motiviert ist, auch wenn es nicht auf Anhieb erkennbar ist – ob für Außenstehende oder, sogar in erster Linie, die Schreibenden selbst.

Natürlich wäre es falsch, zu behaupten, es gäbe keine Forscher, die in ihren Einleitungen mehr oder weniger ausführlich über ihre Positionalität und Situativität schrieben. Dies hat sich besonders dank der englischsprachigen Wissenschaftsszene zu einer allgemeinen Praxis durchgesetzt, was ich begrüßenswert finde und auch so handhabe.

Dennoch: Ein nicht unbequemer Nebeneffekt des Ausblendens des Weges hin zur Erforschung der Daten besteht darin, dass der Eindruck entstehen kann, alles Schreiben bestünde nur noch aus dem Schreiben selbst; dieses fuße wiederum auf dem festen Grund sicher erhobener Daten allein. Einer altmodischen, meines Erachtens aber besonders im deutschsprachigen Raum zählebigen und nicht unrentablen Vorstellung entsprechend bestehe darin sogar das reinere Schreiben – wohingegen das persönlich motivierte Schreiben nicht ausreichend objektiv sein könne. Das akademische, fast klinische Schreiben dagegen könne sachlicher sein. Darin liegt bestimmt eine Portion Wahrheit, denn fehlende Distanz und zu große Nähe können tatsächlich verzerrend auf die Betrachtung wirken. Es handelt sich bei der völligen Ausblendung der Person der oder des Schreibenden im Namen der angeblich „besseren“ Wissenschaftlichkeit aber trotzdem um eine Übertragung aus den Natur- in die Sozialwissenschaften, wovor der Soziologie Norbert Elias angesichts der Entstehung immer neuer wissenschaftlicher Disziplinen vor langem gewarnt hatte.

Was motiviert: verstehen zu müssen

Für mich gibt es so etwas wie unmotiviertes Schreiben nicht. Worüber auch immer ich schreibe – ausgenommen davon sind Auftragsarbeiten, zu einem gewissen Grad – dafür gibt es auch mindestens einen intrinsischen Grund. Manchmal ist der Grund bekannt. Meistens aber ist es eine Mischung aus bekannter Motivation — sowie mehrerer unklarer, auch noch nach schonungsloser Offenlegung und gieriger „Stillung“ verlangender Gründe. Aus diesen Gründen – oder nach diesen Gründen – forscht man: man fragt nach, hinterfragt, setzt sich zuerst mit anderen geschriebenen oder gesprochenen Gedanken darüber auseinander.

Man will es unbedingt verstehen.

Der Weg zum Verstehen bzw. das Verstehen selbst führt dann ins Schreiben: Denken, Schreiben und Verstehen sind aufs Engste verzahnt – zumindest, wenn es um komplexe Fragen geht. Aus meiner eigenen Erfahrung stellt sich das ungefähr so dar:

Erst über das haptische Begreifen der Linienführung fließender Tinte über stehendes, glattes Papier materialisiert sich eine vorläufige Denk- und Gedankenkulisse. Diese ist, wenn sie auch nie eine gänzlich „neue“ sein mag, zumindest doch irgendwie meine eigene; nicht „meine eigene“ in dem Sinne, dass ich sie anderen vorenthalten möchte, nur für mich beanspruchen oder eine bestimmte Fragestellung „privatisieren“ würde – denn das wäre schließlich furchtbar dumm, auch wenn es in der Wissenschaftsszene weit verbreitet ist, und zwar ganz besonders unter Doktoranden, die noch ernsthaft an eine Karriere in der neoliberal verheerten Wissenschafterei glauben; es ist „meine eigene“, weil sie mir visuell und auch im Nachhinein noch vorführt, was ich gedanklich einmal vollzogen habe und also jederzeit wieder nachvollziehen kann. Was ich nachvollziehen kann, geht mir nicht mehr verloren, selbst wenn ich es später verwerfen sollte.

Wenn ich diese Kulisse aus Gedanken abtippe – und das ist ein neuralgischer Moment, denn hier droht Sabotage durch Faulheit oder fehlende Organisation – erlebt die gesamte Szenerie einen weiteren Übersetzungsschritt. Danach steht immer etwas anderes da als vorher: das angeblich nur „Abgetippte“ ist dann gar nicht nur abgetippt, sondern noch einmal anders geschrieben. Aus der Gedankenkulisse hat sich jetzt vielleicht eine viel klarer definierte, strukturierte, gegliederte Gedankenlandschaft gebildet. Weil dazwischen oft eine sich hinziehende Strecke liegt, fällt es mir anhaltend schwer, realistisch einzuschätzen, wie viele getippte Standardseiten sich aus einer handgeschriebenen Seite in einem meiner Notizbücher ergeben. Das nun mehrfach Geschriebene erfährt über diesen und weitere Überarbeitungsschritte Veränderung und Schliff. Nie scheint hier ein Endpunkt erreicht – womit eigens zurecht zu kommen ist. Dieses ist, in geteilter Nachbarschaft mit der Sabotage, die Randzone jener Schreibgefilde, in denen das drohende Scheitern angesiedelt ist.

Ich habe im Laufe meiner eigenen Schreibpraxis ganz unterschiedliche Phasen und Methoden des Schreibens und Scheiterns durchlaufen, ausprobiert und erfahren. Dass ich oft gescheitert bin, fällt mir manchmal erst nach Jahren auf, wenn ich einen nie zu Ende gebrachten Text finde, der irgendwann in der Randzone verschwunden und erkaltet ist. Obwohl ich sehr viel schreibe, halte ich mich ganz und gar nicht für einen „reifen Schreiber“, denn zwischendurch denke ich immer wieder, ich erfände das Rad jetzt doch wieder neu. Wenn ich auf einigen abonnierten Blogs gute Texte lese und die Autorin davon erzählt, was sie im letzten Schreib-Workshop gemacht haben, taucht das altbekannte Hochstapler-Syndrom auf: Du hast ja nie gelernt, zu schreiben – was maßt du dir also überhaupt an?

Es gibt Schreibblockaden; es gibt aber auch Texte, die fließen erst einmal wie in einem Stück heraus. Andere dagegen sind so komplex, puzzlestückhaft und ungeordnet, dass ich erst einmal ein oder zwei Whiteboards benötige, wo kurzlebige Schmierereien entstehen und immer wieder verworfen werden dürfen. Und wehe, sie werden nicht festgehalten und an wieder auffindbarer Stelle abgelegt!

Für jeden Text, aber auch für jede Schreiberin scheint es anders zu sein. Das verzahnte Verhältnis zwischen Verstehen und Schreiben hat aus meiner Sicht vielleicht niemand so nachvollziehbar beschrieben wie die große Denkerin und Schreiberin Hannah Arendt im legendären Interview mit Günter Gaus aus dem Jahr 1964, das ich hier ausschnittsweise wiedergeben will. Arendt spricht hier zum Einen die Wirkung ihres Schreibens an – die sie nicht allzu hoch platziert, obwohl sie (nicht nur) für mich eine der wirkungsvollsten Schreiberinnen überhaupt ist, und zwar seit ich während des Grundstudiums ihre Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft verschlungen habe. Zum Anderen betont sie aber besonders die Bedeutung des Prozesses des Denkens und Schreibens als eigentliches Verstehen – und ich denke, dass sie gerade wegen dieser Aufrichtigkeit im Schreiben so eine große Wirkung entfaltet:

Gaus: Ihre Arbeit – wir werden auf Einzelheiten sicherlich noch kommen – ist in wichtigen Teilen auf die Erkenntnis der Bedingungen gerichtet, unter denen politisches Handeln und Verhalten zustande kommen. Wollen Sie mit diesen Arbeiten eine Wirkung auch in der Breite erzielen, oder glauben Sie, daß eine solche Wirkung in der heutigen Zeit gar nicht mehr möglich ist – oder ist Ihnen ein solcher Breiteneffekt nebensächlich?

Arendt: Wissen Sie, das ist wieder so eine Sache. Wenn ich ganz ehrlich sprechen soll, dann muß ich sagen: Wenn ich arbeite, bin ich an Wirkung nicht interessiert.

Gaus: Und wenn die Arbeit fertig ist?

Arendt: Ja, dann bin ich damit fertig. Wissen Sie, wesentlich ist für mich: Ich muß verstehen. Zu diesem Verstehen gehört bei mir auch das Schreiben. Das Schreiben ist Teil in dem Verstehensprozeß.

Gaus: Wenn Sie schreiben, so dient es Ihrem eigenen, weiteren Erkennen?

Arendt: Ja, weil jetzt bestimmte Dinge festgelegt sind. Nehmen wir an, man hätte ein sehr gutes Gedächtnis, so daß man wirklich alles behält, was man denkt: Ich zweifle sehr daran, da ich meine Faulheit kenne, daß ich irgend etwas notiert hätte. Worauf es mir ankommt, ist der Denkprozeß selber. Wenn ich das habe, bin ich persönlich ganz zufrieden. Wenn es mir dann gelingt, es im Schreiben adäquat auszudrücken, bin ich auch wieder zufrieden. – Jetzt fragen Sie nach der Wirkung. Es ist das – wenn ich ironisch werden darf – eine männliche Frage. Männer wollen immer furchtbar gern wirken; aber ich sehe das gewissermaßen von außen. Ich selber wirken? Nein, ich will verstehen. Und wenn andere Menschen verstehen, im selben Sinne, wie ich verstanden habe – dann gibt mir das eine Befriedigung, wie ein Heimatgefühl.1

Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt. Sendung vom 28.10.1964, Transkript übernommen von RBB, URL: https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html (z.a.a. 29.4.2020).

Besonders interessant ist an Arendts Aussage, dass sie von einem „Heimatgefühl“ spricht, was an anderer Stelle interessant wäre, genauer zu diskutieren. Doch im Kern frage ich mich, ob es genau das ist, was Arendt beschreibt, was die höchste Auszeichnung des Schreibenden gegenüber sich selbst und anderen – den Lesern – sein könnte oder sollte: von anderen Menschen in der eigenen Haltung erkannt zu werden? Oder muss, darf, kann es nicht noch etwas anderes geben – etwas vielleicht Unreiferes, etwas Rastloses, das auch in der Haltung engagiert Schreibender steckt?

Was ist vom aktivistischen Anliegen, die Welt ein Stück verändern zu wollen, so gesehen noch anzufangen? Ist das Interessiert-sein an der Wirkung während des Schreibens – woran Arendt also beim Schreiben ganz und gar nicht interessiert zu sein schien – denn ganz aufzugeben?

Im folgenden Teil geht es um das vieldeutige Thema „Heimat“ als klassisches Schnittmengen-Thema von Wissenschaft und Literatur, welches gleichzeitig ein stark umkämpftes Feld neopopulistischer Diskurse ist, sowie meine eigenen Erfahrungen beim Versuch, die Thematik schreibend zu verstehen. Im Anschluss betrachte ich die Erfahrungen des Autors Joseph Zoderer aus Südtirol, der unter anderem über ethnische Konflikte seiner Südtiroler Heimat geschrieben hat, sich also der Heimat-Thematik stellt, ohne jedoch Heimat zu verklären — und der über seine veränderte Schreibhaltung hinsichtlich des Schreibprozesses und des abnehmenden Strebens nach Wirkung reflektiert. Im Schlussteil stelle ich mich der letzten gefährlichen Zone des Scheiterns — Nihilismus und Frustration — entgegen und komme auf die ungewisse Zukunft des Schreibens durch die unaufhaltbar erscheinenden Möglichkeiten von KI zurück.

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