Kategorien
Neopolis

Vegetation als politische Metapher (Response Paper IV / Waldendzeit)

Die Methode der Metaphernanalyse kann uns helfen, die Wechselwirkung zwischen naturräumlichem und sozialem Klima zu verstehen — ob in der longue durée der Entwicklung der Wirtschaftswälder seit dem späten 18. Jahrhundert, oder zum besseren Verständnis aktueller Konfliktthemen. Aufgeladene politische Diskurse können so versachlicht werden, indem die Ebene des Metaphorischen und Uneigentlichen rückübersetzt wird auf das Konkrete — und damit zu dem, worüber wir eigentlich sprechen sollten.

Wie Wilhelm Bode in seinem Buch Waldendzeit eindringlich und vor allem überzeugend dargelegt hat (vgl. Teile I – III), ist die Zeit für die forstwirtschaftliche Wende sofort fällig, sie duldet keinen weiteren Aufschub. An vielen Orten, selbst in den Städten, wird bereits daran gearbeitet: Parks wie die Hasenheide in Berlin-Neukölln werden mit resilienten Baumarten umgestaltet, Monofichten- und Monokiefernforste sollen Mischnutzwälder werden, um Dürrestress, Starkregenereignissen und Schädlingsbefall unter Bedingungen des anthropogenen Klimawandels (hoffentlich) widerstehen zu können. Dasselbe Postulat gilt für viele weitere Prozesse des Umdenkens und der überfälligen Aufnahme neuer Praxisformen und Policies: Es genügt längst nicht mehr, offensichtliche Missstände wieder und wieder zu kritisieren. Die eigentliche Denkarbeit liegt heute darin, konkrete methodologische und praktische Alternativen zu entwickeln – aber auch in der Frage, wie ein Umdenken erfolgreich einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden kann.

Während die Umgestaltung von Parks und Forsten eine sehr konkrete, „eigentliche“ Angelegenheit ist, plädiere ich in diesem Beitrag – inspiriert durch Wilhelm Bodes Waldendzeit – dafür, auch auf einer viel „uneigentlicheren“, also metaphorischen Ebene umzudenken. Der folgende Beitrag kann als vertiefter Vorschlag gelesen werden, sich als Historiker, Kunstwissenschaftler, Literaturwissenschaftler, Sprach- und Geisteswissenschaftler nicht allein auf der Ebene der oberflächlichen Betrachtung aufzuhalten, indem Bilder oder literarische Texte mit ihren uneigentlichen Allegorien und Metaphern mehr oder weniger losgelöst von der eigentlichen Ebene der Umwelt betrachtet werden, was zu falschen oder unvollständigen Schlüssen führen kann. Ein Beispiel dafür liefert ein verbrämtes und immer wieder reproduziertes, stereotypes Verständnis der angeblichen Waldliebe der Deutschen, die oft mit Caspar David Friedrich assoziiert wird. Eine genauere Betrachtung Friedrichs Bilder kann uns jedoch einen sehr viel kritischeren Zugang in die Lebenswelt von Menschen und Bäumen des Malers eröffnen – was vor allem Wilhelm Bode zu verdanken ist.

Dieses Argument habe ich bereits formuliert, aber ich werde hier noch einmal eine Anschluss- und Vertiefungsmöglichkeit durch das Heine-Projekt aufzeigen, wo ich – anders als Bode mit seiner Betrachtung von Gemälden und bildlichen Allegorien – literarische Wald- und Vegetationsmetaphern der Deutschen Romantiker aus Heines ironischer Perspektive analysiert habe. Nach einer kurzen Rückschau auf Heines Vegetationsmetaphorik, die ich in ausführlichen Beiträgen über sein Buch Die Romantische Schule und weitere Schriften analysiert habe, werde ich Caspar David Friedrichs Wald- und Umweltmetaphorik derjenigen Heines gegenüberstellen. Dabei stehen Tannen, Fichten und Kiefern auf der einen Seite einer durchweg politischen Metaphorik, nämlich hauptsächlich Caspar David Friedrichs, während Buchen und vor allem Eichen – eine von Heine oft metaphorisch gewendete Baumart – am anderen Spektrum des politischen Zeitgeists der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stehen.

Die Hermeneutik der Metaphernanalyse mag in diesem Beitrag auf das 19. Jahrhundert fokussiert sein und uns helfen, die Wechselwirkung zwischen naturräumlichem und sozialem Klima in diesem Zeitraum sowie die Entwicklung der Wirtschaftswälder in der longue durée zu verstehen. Doch die Methode der Metaphernanalyse an sich ist alles andere als beschränkt auf historische Betrachtungen oder einzelne Wissenschaftsdisziplinen. Vegetationsmetaphern sind auch heute weit verbreitet, wenn man nur an die Sonnenblume in der Symbolik der Grünen oder rote Rosen und Nelken in der Sozialdemokratie und sozialistischen Parteien denkt. Im 19. Jahrhundert diente Schreiben zwischen den Zeilen und hinter Vegetationssymbolen oft dem Zweck, der politischen Zensur zu entgehen. In ähnlicher Weise sind auch heute noch Vegetationssymbole hochgradig aufgeladen und berühren oder überschreiten sogar die Grenzen dessen, was in bestimmten Kontexten oder im öffentlichen Raum gesagt oder ausgedrückt werden darf: Man denke nur an die palästinensische Kufiya mit ihrer Olivenblatt-Metaphorik oder das ebenfalls palästinensische Symbol der Wassermelonenscheibe, das selbst das Resultat politischer Zensur ist. Weil die Metaphernanalyse so vielseitig einsetzbar ist und der Schärfung unserer sprachlichen Sensorik in politisch oft als erdrückend oder bedrohlich wahrgenommen Zeiten dienen kann, werde ich am Ende werde noch einmal auf die hochaktuelle Relevanz und Einsetzbarkeit der Methode für die Unterrichtsdidaktik, für das Verstehen politischer Codes in ihrem Kontext – aber auch für die höchst gewinnbringende Beschäftigung mit Kunst und Literatur eingehen.

Zwischen Eichen und Fichten: Heinrich Heines und Caspar David Friedrichs Vegetationsmetaphorik und ihre Botschaften

Wie ich im Heine-Projekt gezeigt habe, für das ich mich auf die Romantische Schule konzentriert sowie weitere Texte und Gedichte einbezogen habe, in denen sich Heine mit den Deutschen Romantikern auseinandersetzt, stecken Heines Schriften voller Wald- und Vegetationsfiguren: Eichen, hundertjährige Eichen, tausendjährige Eichen, stille deutsche Veilchen, blaue Blumen, närrische Blumen, sinnlich rote Hortensien, spaßhaftes Löwenmaul, Purpurdigitalis, verdrehte Krokosnasen und andere. Ein Beispiel ist folgendes Gedicht:

Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.
Es war ein Traum.
Das küßte mich auf deutsch und sprach auf deutsch
(Man glaubt es kaum Wie gut es klang)
das Wort: „Ich liebe dich!“
Es war ein Traum.1

Nicht alle Wald- und Vegetationsfiguren bei Heine sind Metaphern, und wenn sie metaphorisch verwendet werden, dient es oft der Überzeichnung und Ironisierung von Metaphern, die ursprünglich von den Romantikern produziert worden sind.

Ebenso wie Caspar David Friedrich, der seine Vegetationsallegorien – ganz typisch für die Deutschen Romantiker – mit Gebäuden, verfallenen Ruinen und Tierfiguren (z.B. Raben) in Beziehung setzt, die meistens auf das Mittelalter (z.B. gotische Kirchen- und Klosterruinen) oder sogar die Germanen (z.B. Hünengräber) referieren, produziert auch Heine ähnliche Kompositionen, die er außerdem mit mythischen Figuren anreichert. Unter dem Strich dominiert bei Heine das Motiv des Walddunkels, das für gesellschaftlichen und politischen Rückschritt steht. Folgendes Zitat aus der Romantischen Schule enthält zwar keine Waldmetaphorik, bringt aber Heines Geisteshaltung und Einstellung gut auf den Punkt:

Wurde nun die romantische Schule, durch die Enthüllung der katholischen Umtriebe, in der öffentlichen Meinung zugrunde gerichtet, so erlitt sie gleichzeitig in ihrem eigenen Tempel einen vernichtenden Einspruch, und zwar aus dem Munde eines jener Götter, die sie selbst dort aufgestellt. Nämlich Wolfgang Goethe trat von seinem Postamente herab und sprach das Verdammnisurteil über die Herren Schlegel, über diesen Oberpriester, die ihn mit so viel Weihrauch umduftet. Diese Stimme vernichtete den ganzen Spuk; die Gespenster des Mittelalters entflohen; die Eulen verkrochen sich wieder in die obskuren Burgtrümmer; die Raben flatterten wieder nach ihren alten Kirchtürmen; Friedrich Schlegel ging nach Wien wo er täglich Messe hörte und gebratene Hähndel aß; Herr August Wilhelm Schlegel zog sich zurück in die Pagode des Brahma.2

Wie dieses Zitat zeigt, waren Heines Naturfiguren und auf das Mittelalter referierende Gebäude (Eulen, Raben, alte Kirchtürme) ganz anders motiviert als jene, die Caspar David Friedrich und der Mainstream der Romantiker produzierten. Heine war ein Meister der Persiflage: Er schrieb in „klirrender Ironie“ gegen „die Schlegeln“ an und wollte die Romantiker über die Verwendung ihrer eigenen Metaphern lächerlich machen.3

Heinrich Heine und Caspar David Friedrich als gegensätzliche Figuren

Obwohl sich Heine hauptsächlich auf „die Schlegeln“, die Arnims, Brentanos und andere Zeitgenossen konzentrierte, können beide als gegensätzliche Figuren eines gemeinsamen soziopolitischen Kontexts gelten. Zwischen der Geburt Caspar David Friedrichs (1774) und Heinrich Heines (1797) liegt ein Generationenunterschied. Obwohl Friedrich nicht zu Heines primären Spottzielen gehört, treten die Motive der Gemälde Friedrichs aus Heines Schriften dennoch hervor. Die Gegensätzlichkeit beider Personen beginnt mit ihrer Geburt und Herkunft.

Heinrich Heine kam aus einer jüdischen Familie aus Düsseldorf und sah sich zeitlebens – und trotz seiner Konversion zum Protestantismus – Diskriminierungen ausgesetzt, was bereits mit dem Ausschluss von christlichen Schulen beginnt. Mit Napoléon Bonaparte schien sich das alles drastisch zu verändern und zu verbessern, weshalb Heine ein Bewunderer Napoléons und des Code Napoléon war, wie sich auch in seinem Napoléon gewidmeten Das Buch Le Grand zeigt. Heine war ein entschiedener Befürworter der Aufklärung, wie auch aus dem o.g. Zitat hervorgeht, in dem Goethe als Aufklärer den Romantikern als dessen Gegenteil opponiert.

Dem aufkommenden deutschen Nationalismus stand er skeptisch bis ablehnend gegenüber, was auch mit dem immer unverblümter um sich greifenden Antijudaismus und Antisemitismus vieler Romantiker zusammenhing, wie die Entwicklung der einst toleranten Berliner Salons und der christlich-deutschen Tischgesellschaft zeigt (vgl. Kapitel Der neue Antisemitismus der deutschen Romantiker). Heine selbst verstand sich als „der inkarnirte Kosmopolitismus“ – und Paris stand für diese von ihm so bewunderte Weltläufigkeit, wohin er schließlich auch, bis an sein Lebensende, ins Exil ging.

Heine hat sich intensiv mit den oben zitierten „katholischen Umtrieben“ auseinandergesetzt, die mit dem Mittelalter- und Gothik-Tick der Romantiker zusammenhingen – versinnbildlicht im Kölner Dom, dessen Vollendung im 19. Jahrhundert zu einer nationalen Aufgabe erklärt wurde. Katholizismus und Religiosität gegenüber war er ablehnend eingestellt, lobte detailreich die zunehmende Religionsferne der (katholischen) Franzosen – auch wenn er selbst durchaus spirituell aktiv und interessiert war; so hing er eine Zeit lang dem eklektischen Saint-Simonismus an und bekannte sich gegen Ende seines Lebens offen zur Existenz Gottes.

Caspar David Friedrich hingegen entstammte einer protestantischen Familie aus dem norddeutschen Greifswald, das damals unter schwedischer Krone stand. Er galt als religiös und spirituell. In politischer Hinsicht vertrat er eine Heine genau entgegengesetzte Position: Er war anti-napoleonisch eingestellt und vertrat eine zutiefst melancholische, pro-deutsche Haltung. Dazu muss freilich bedacht werden, dass er nicht, wie Heine, einer diskriminierten Minderheit angehörte, für die es zu Heines Lebzeiten immer weniger Platz im deutschen Projekt geben sollte. Die deutschtümelnde, anti-französische Haltung ist den Bildern und ihrer Symbolik deutlich zu entnehmen und in der Kunstgeschichte ausführlich analysiert worden, auch wenn die symbolischen Codes für das ungeschulte Auge aus heutiger Sicht nicht ohne weiteres erkennbar sein mögen. Man denke nur an die altdeutsche Tracht der beiden Protagonisten des Gemäldes Zwei Männer in Betrachtung des Mondes, wo diese damals nicht ganz risikofrei tragbare Bekleidung zu sehen ist. Ein weiteres, sehr bekanntes und auch von Bode beschriebenes Bild ist der Chasseur im Walde, der einen versprengten französischen Soldaten „auf dem Holzweg“ abbildet.

Caspar David Friedrich kam zwar zwischen Dänemark, wo er studierte, seiner norddeutschen Heimat und Böhmen durchaus herum. Er war aber kein Kosmopolit wie Heine. Deutschland verließ er nie dauerhaft, und schon gar nicht ging er nach Frankreich, das in seinen Augen eine Besatzungsmacht war. Während Heine das Walddunkel, obskure Burgtrümmer und alte Kirchtürme – das Standardrepertoire der Romantiker – verächtlich machte, war Caspar David Friedrich der Produzent dieser Bilder.

Caspar David Friedrichs Wald- und Umweltmetaphorik

Für sich betrachtet sind beider Personen Werke ausführlich analysiert und beschrieben worden. Dennoch ist es meines Wissens eindeutig Wilhelm Bodes Verdienst, Caspar David Friedrichs Gemälde eines forstwissenschaftlichen und botanischen Blicks unterzogen zu haben, was es nun möglich macht, eine vergleichende (und bestimmt noch ausbaufähige) Gesamtschau auf beider Künstler Werke zu kombinieren. Die Ergebnisse der Metaphernanalyse Heines und der bildlichen Allegorien Friedrichs eignen sich hervorragend für eine symbolische Figurationsanalyse. Diese wird zeigen können, dass hinter Bäumen wie Eichen und Fichten ein viel tieferer, eigentlicher Kontext liegt, der nur zu verstehen ist, wenn die nicht-metaphorische, ereignisgeschichtliche Wirklichkeit miteinbezogen wird. Um die Figuration sortierter und übersichtlicher zu gestalten, werde ich nach den von Bode beschriebenen Leitbaumarten Eichen und Buchen sowie Tannen, Fichten und Kiefern sortieren. Diese beiden Gruppen lassen sich über die Figuren Deutsche Eiche und Napoleon-Fichte sogar noch enger eingrenzen, verdichten und einander gegenüberstellen.

Eichen und Buchen

Eichen stehen in den Bildern Caspar David Friedrichs, aber auch in der Persiflage Heines sowie in anderen Quellen für die Vergangenheit und eine Art zäher, knorriger Vanitas, wie etwa im Gemälde Abtei im Eichwald. Eine Besonderheit der Eiche ist ihr Habitus im fortgeschrittenen Alter – und nicht zuletzt dieser ist, zusammen mit ihrer zunehmenden Seltenheit im Vergleich zu den Fichten und Kiefern, verantwortlich für ihre Inanspruchnahme durch Künstler der Romantik:

Zwar zeigen alle alten Bäume ein phänotypisches Eigenprofil reifer Veteranen mit Verletzungen und Scharten ihres langen Lebenskampfes an, meistens aber nicht so charaktervoll und bizarr wie eben die Eichen.4

Oft sind Eichen in der Nähe architektonischer und anderer Symbole der vergangenen Größe abgebildet (Hünengräber, Abtei). Dies geht auch aus Bodes Betrachtung des Bildes „Hünengrab im Schnee“ (um 1807) hervor. Sich auf die verschwindenden, von Achim von Arnim beklagten, alten Bäume beziehend, schreibt Bode:

Die Romantiker, auch Caspar David Friedrich, malten sie und setzten ihnen damit Denkmäler. Die populäre Hymne auf die Sehnsucht nach der Waldeinsamkeit wurde zum Wehklagen der romantischen Poesie. In den drei alten, gestutzten Eichen in seinem Gemälde Hünengrab im Schnee verschlüsselte Friedrich um 1807 zugleich seine Kritik an der napoleonischen Aufklärung.5

Das Hünengrab stehe für die heroischen, germanischen Vorzeiten, die düstere Winterstimmung wirke wie eine Trauergemeinde, die Schnee- und Eisdecke als Metapher napoleonischer Fremdherrschaft, die gleichsam als Menetekel der neuen Zeit der Aufklärung stehe (die Friedrich ablehnte): „die drei Alteichen repräsentieren die uneinigen deutschen Fürstentümer, die sich bereits mehrheitlich entwipfelt – ja enthauptet – zeigen.“6 Auch Hoffnungslosigkeit hinsichtlich der Möglichkeit einer deutschen Einigung werde ausgedrückt.7

Wie Bode am Beispiel der Drillingseiche in Brandenburg zeigt, gelten uralte Eichen deutschlandweit als besonders schützenswert und bekommen häufig eigene Namen verliehen. Dabei sind sie „seltene Landschaftsmarken in der ausgeräumten Agrarsteppe“.8 Eichen haben in Deutschland hohen symbolischen Wert als Nationalsymbole der deutschen Demokratiegeschichte, mit markanten Anfängen in der Romantik: insbesondere in dieser Zeit sind die übrig gebliebenen, alten Eichen zum „heiligen Baum deutscher Nation“ aufgestiegen, obwohl dieser Exklusivitätsanspruch als „deutscher Baum“ weder botanisch noch symbolisch Sinn macht:

Schon seit Jahrhunderten diente die Eiche, bzw. ihr Laubwerk, in zahlreichen Darstellungen insbesondere der Heraldik als Zeichen der Stärke und des Lebenswillens – und das europaweit, quasi staatenlos, keiner Nation angehörend.9

Deshalb gibt es auch in anderen europäischen Nationen eine Inanspruchnahme der Eiche für die nationale Sache – die Französische Eiche, die Dänische Eiche, die Belgische Eiche, etc.10 Auch im südslawischen Raum, etwa bei den Serben, spielt die Eiche eine große Rolle. Ort und Zeitpunkt der nachhaltigen, deutschen Vereinnahmung war jedenfalls die Paulskirchen-Versammlung 1848:

Über dem Rednerpult an der Stirnseite des ersten deutschen Plenarsaals prangte das vorstehende Monumentalgemälde der Germania (…) – quasi als kollektive Ermahnung von einem unbekannten Künstlerkollektiv gefertigt.11

Der eicherne Siegerkranz ersetzte den seit der Antike üblichen, mediterranen Lorbeerkranz – wobei dieser in deutsch-nationalistischer Symbolik nie ganz verschwinden wird, wie etwa eine Zeremonie in der Nazizeit zeigt, als Caspar David Friedrich in dessen Heimatstadt Greifswald ausgezeichnet und zu einem der Leitkünstler der Nazis instrumentalisiert wurde.12

Auch in weiteren Bildern Friedrichs spielt die Eiche wieder eine zentrale Rolle, so im Gemälde Eichbaum im Schnee von 1829, diesmal also nach dem Sieg über Napoleon, wo sie „als zentrale Metapher seiner wiedererwachenden nationalen Zukunftshoffnung“ auftaucht.13 Ein weiteres Bild mit einer Eiche ist Der einsame Baum vor einer Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung von 1822.14

Buchen stehen ebenfalls für die Vergangenheit und die „alten Bäume“, die Achim von Arnim beweinte, wenn auch eher aus forstlicher Sicht und weniger hinsichtlich ihres symbolischen Gehalts; sie finden sich, wenn auch eher marginal, auch auf dem Gemälde der zweiten Germania Philipp Veits aus den Jahren 1834-36. Diese Germania sei „bis heute in ihrer Tiefgründigkeit unerkannt“, so Bode. Hinter der Germania befindet sich zwar eine Eiche, aus dieser entspringt jedoch eine Buche.15

Veit vermittelt so dem aufmerksamen Betrachter die klammheimliche Botschaft, wer die wahre Mutter des deutschen Waldes ist – nämlich die Buche.16

Nicht zufällig heißt die Region um Fulda, wo die Buche bis heute besonders häufig ist, auf historischen Karten Buchonia. Doch auch kulturell ist die Buche mit der deutschen Sprache eng verwachsen, etwa in Buchstabe oder Buch.17

Tannen, Fichten und Kiefern

Tannen meistens gar nicht für Tannen, sondern bezeichnen Fichten. Heimische Weißtannen sind sehr selten geworden, weil sie besonders stark unter dem sauren Regen litten; ansonsten erweisen sich aber gerade diese als Pfahlwurzler als resistenter gegenüber Dürren als Fichten, die Flachwurzler sind und deswegen nicht an tieferliegende Wasservorräte reichen können.18 Während viele Laien Tannen und Fichten tatsächlich nicht unterscheiden können dürften, dienen sie in Bodes Interpretation dazu, die politische Haltung des Malers zu überdecken, als „Tannennotlüge“, die dazu dienen sollte, seine politische Botschaft zu verbergen, die er mit der wahrheitsgemäßen Bezeichnung der Fichten offengelegt hätte.19 Fichten waren damals nämlich – nicht weniger als Eichen – politisch aufgeladene Gewächse, die mit Napoleon, der Aufklärung und der damals austeigenden, rationellen Forstwissenschaft assoziiert wurden. Ähnlich – und auf den Gemälden oft einander assoziiert – verhielt es sich mit dem gotischen Stil, wie auch bei Heine immer wieder thematisiert:

Der gotische Stil war eine romantische Zurückweisung des Klassizismus im nepoleonischen Empire.20

Fichten stehen, ganz im Gegensatz zu den Eichen, nicht für die Vergangenheit, sondern für die politisch unbefriedigende Gegenwart, die von aufklärerischen, rationellen, französischen, modernen Ideen, Denkweisen und Methoden geprägt ist. Das ist auch kein Wunder, denn schließlich ist die Fichte zu Lebzeiten Caspar David Friedrichs noch nicht allgegenwärtig. Damals war die Buche der weitverbreitetste Baum, der beginnend ab 1750 allmählich durch den neuen Brotbaum, die Fichte, verdrängt wurde:

Caspar David Friedrich malte mit Beginn seiner Ölmalerei um 1806 deswegen zunächst überwiegend Fichten, auch wenn er sie mitunter als Tannen bezeichnete. Erstere gewannen rasch weiter an Boden, genauso wie die Kiefernplantagen auf den trockenen, häufig bereits seit langer Zeit entwaldeten Sandstandorten im Osten Deutschlands, die einst von Natur aus hohe Eichenanteile trugen.21

Eine Besonderheit ist der heute nicht mehr geläufige Begriff der Napoleon-Fichte, den Bode auch aus einer Analyse des Bildes Kreuz im Gebirge (bekannt als Tetschener Altar, 1807/08)22 herleitet – denn dieser

zeigt unzweifelhaft eine untergehende Sonne, die den Gekreuzigten im letzten warmen Licht anstrahlt. An dessen Kreuz klammert sich ein Efeugewächs als Symbol der Hoffnung. Letzteres ist tatsächlich ein botanisches Symbol für Treue und Hoffnung in der Malerei – ganz im Gegensatz zu den haltlosen Vermutungen über immergrüne, Hoffnung spendende Fichten in Friedrichs Bildern.23

Die Fichten auf diesem Gemälde widersprechen der botanischen Wirklichkeit, zum Gipfel hin keineswegs größer zu werden als weiter unten; Sie vermitteln die Botschaft, sie würden den Berg „erstürmen“ und einnehmen, und damit auch den Gekreuzigten, der aufs Licht blickt, dass bald von den Fichten verdunkelt werden würde. Diese Fichten deutet Bode als „Napoleon-Fichten“:

Auch wenn Friedrich die Fichten darin als Tannen bezeichnete, sind es aber stets Fichten, die er malte. Tannen gab es in seinem engeren sächsischen Lebensumfeld längst keine mehr. Auf den Punkt gebracht, malte er in seinen Gemälden stets Napoleon-Fichten, die die heimische Landschaft, hier den Gekreuzigten, alsbald beherrschen werden.24

Ganz ähnlich deutet Bode das Bild Winterlandschaft mit Kirche (S. 80), auf der eine Fichtengruppe einem gotischen Kirchenbau im Nebel opponiert; vor den Fichten befinden sich Megalithen, die Bode als germanische Hünengräber deutet, auf denen sich wiederum ein kriegsversehrter Soldat aus den napoleonischen Kriegen anlehnt, der seine Krücken weggeworfen hat und inbrünstig zum Gekreuzigten betet, der durch die Fichten droht, eingewachsen zu werden. Hier figurieren die Fichten für die religionsabgewandte Aufklärung aus dem napoleonischen Frankreich.25

Dieselbe Sprache spricht das bekannte Bild Der Chasseur im Walde (1814), auf dem ein Rabe (als Unglücksvogel) zu sehen ist, der einen Franzosen betrachtet, der dabei ist, sich auf einem Holzweg in einen Fichtenforst zu verirren.26

Als Holzweg bezeichnet man gemeinsprachlich – und bis auf den heutigen Tag – einen Triftweg, der keine Verbindung zwischen zwei Orten herstellt, sich also im Wald verliert. (…) Er endet also stets im Nirgendwo wie hier und ist eine Allegorie auf die romantische Hoffnungslosigkeit, die Friedrich in der Ausweglosigkeit napoleonischer Veränderungen fühlte.27

Auf dem Holzweg ist heute eine Redewendung, die auch auf die Schattenseiten der Modernisierungsfolgen unter den heutigen Bedingungen des Klimawandels gut beschreiben könnte.

Schluss

Wie diese noch viel weiter ausbaubare Gegenüberstellung zeigen kann, müssen Historiker und andere Geistes- und Sozialwissenschaftler zum soziopolitischen und naturräumlichen Verständnis des frühen 19. Jahrhunderts bei der Lektüre von Heines Texten und der Betrachtung Friedrichs Bildern zwischen den Zeilen lesen und hinter die tiefere Bedeutung von Bildern blicken, indem das Vorgefundene mit anderen Wissensbeständen trianguliert wird. Eine ganz ähnliche Herausforderung besteht für den heutigen Kontext unter Bedingungen der progressiven Polykrise des anthropogenen Klimawandels und ihrer interdependenten, sozialklimatischen Auswüchse des Neopopulismus. Aus gegebenem Anlass sollten kulturgeschichtliche Perspektiven auf das Klima, wie es beispielsweise Wolfgang Behringer formuliert hat, heute selbstverständlich sein.28

Die Metaphernanalyse ist ein faszinierendes Feld, weil sie Wege in die Kunst, das Denken und den Zeitgeist eröffnet: werden ihre Ergebnisse mit quantitativen oder qualitativen Daten trianguliert, kann ein viel tieferes Verstehen und Verständnis gesellschaftlicher Herausforderungen, Konflikte und schließlich auch der Weg zu Lösungen erfolgen. Über diese Methode können nämlich unzählige weitere historische und zeitgenössische Denkweisen analysiert, entschlüsselt und verstanden werden. Lieux de mémoires, also Erinnerungs- oder Gedächtnisorte, die oft hochgradig metaphorisch ausgestattet sind, aber auch Gegenstände des Alltags, übersehene oder skandalisierte Symbolik hier und dort, schriftliche oder grafische Verweise zwischen Emoji und Bestseller-Roman – sie alle können einer Metaphernanalyse unterzogen werden.

Die Metaphernanalyse eignet sich deshalb hervorragend für die Lehre an Sekundarstufen und Hochschulen, weil sich an sehr vielen Orten metaphernträchtige Denkmäler finden, die einen motivierenden Anlass für Studierende unterschiedlicher Disziplinen wie Geschichte, Kunstgeschichte, der Sozialwissenschaften bieten können, diese Orte nicht nur fotografisch und über schriftliche Feldnotizen zu erkunden und zu analysieren, sondern den Weg zu literarischen und anderen schriftlichen Quellen zu finden. Sie kann darüber hinaus helfen, aufgeladene politische Diskurse zu versachlichen, indem die Ebene des Metaphorischen und Uneigentlichen dekonstruiert und zurückgebracht wird auf die Ebene des Konkreten und dessen, worüber wir eigentlich sprechen sollten.


Fußnoten und Referenzen

Coverbild: Am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park, eigene Aufnahme 2025 (c) Thomas Schad.

1 Heine, Heinrich: Neue Gedichte, in: Düsseldorfer Heine Ausgabe (DHA), Bd. 2, S. 9 ff., URL: http://www.hhp.uni-trier.de/Projekte/HHP/Projekte/HHP/werke/baende/D02/index_html?widthgiven=30 (zuletzt abgerufen am 6.8.2020).

2 Ebda, S. 40.

3 Vgl. August Wilhelm Schlegel: Cheftheoretiker der Romantiker, in: DLF vom 5.9.2017, URL: https://www.deutschlandfunk.de/august-wilhelm-schlegel-cheftheoretiker-der-romantiker.871.de.html?dram:article_id=395002 (zuletzt abgerufen am 3.8.2020).

4 Bode, S. 52.

5 Bode, S. 31.

6 Bode, S. 31.

7 Bode, S. 31-32.

8 Bode, S. 48.

9 Bode, S. 50.

10 Bode, S. 51.

11 Bode, S. 50.

12 NDR Doku.

13 Bode, S. 54.

14 Bode, S. 54.

15 Bode, S. 59-60.

16 Bode, S. 60.

17 Bode, S. 61.

18 Bode: Waldendzeit, S. 121-124.

19 Bode, S. 76.

20 Bode, S. 77.

21 Bode, S. 57.

22 Bode, S. 75.

23 Bode, S. 77.

24 Bode, S. 78.

25 Bode, S. 79-80.

26 Bode, S. 81.

27 Bode, S. 82.

28 Vgl. Behringer, Wolfgang ([2007] 2020): Kulturgeschichte des Klimas: Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.