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Waldendzeit von Wilhelm Bode (Response Paper, Teil II)

Im vorangegangenen Response Paper zu Wilhelm Bodes Waldendzeit habe ich bereits viele zentrale Aspekte angesprochen, die in diesem zweiten Teil noch einmal an einigen Stellen vertieft werden sollen. In Abschnitt 2 werde ich auf das Problem falsch verstandener Waldliebe eingehen, das Bode an mehreren Stellen aufgreift und kritisiert. Dazu gehören auch Forderungen nach Renaturierung des Waldes (die für einige Leser:innen vielleicht erst einmal nachvollziehbar klingen mögen), Positionen zur Schalenwildjagd (von dem es viel zu viel gibt) oder die Vorstellung, man könne nachhaltige Wälder „anpflanzen“. Kann man nämlich gar nicht ohne weiteres.

In Abschnitt 3 betrachte ich den Begriff der Nachhaltigkeit genauer, mit dem ich mich auch schon in früheren Beiträgen auseinandergesetzt habe – etwa im Blogbeitrag Sattelzeit, Holznot und Nachhaltigkeit: über die selten besprochenen Bergbaukenntnisse der Romantiker und andere Hintertreffen vom 1. Januar 2023, aber auch im (unveröffentlichten) Masterplan des Museumsparks Rüdersdorf (2022/2023) sowie in meiner alltäglichen Praxis als Historiker und Museumspädagoge im Museumspark Rüdersdorf. Dort nämlich ist der Zusammenhang zwischen steigendem Ressourcenverbrauch und dem Aufkommen des Nachhaltigkeitsbegriffs erlebbar und anhand der jahrhundertelangen, bis heute andauernden Geschichte des Kalkbrennens historisch nachvollziehbar. Doch bevor weiter unten praktische museums- und umweltpädagogische Ansätze diskutiert werden, gilt es hier noch einmal, Missverständnisse über den Begriff aus dem Weg zu räumen, der längst nicht so unproblematisch ist, wie er im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird.

Im vierten Abschnitt schließlich will ich noch einmal die Unterschiede zwischen den Wald- und Forsttypen Altersklassenwald, dem historischen Plenterwald sowie dem von Alfred Möller, Wilhelm Bode und zahlreichen weiteren Forstwissenschaftlern und Forstwirten anvisierten Dauerwald herausarbeiten – denn dieses Wissen sollte zweifellos zum Bestand unseres Grund- und Allgemeinwissens gehören.

Der Grund für all diese Vertiefungen ist, dass dadurch noch einmal konkretere Handlungsfelder und auch Anschlussmöglichkeiten an weitere Projektfelder – ob in kognitiven und geisteswissenschaftlichen Disziplinen, ob in museumspädagogischen Ansätzen und in dringenden politischen Fragen – aufgezeigt werden können. Dies ist nicht zuletzt dem Forschungsinteresse des Projekts Neopopulismus: Revisionismus und Meta-Katastrophe geschuldet, das einen universalen Zusammenhang zwischen dem Fortschreiten des Neopopulismus, den epochalen Veränderungen unserer Zeit und damit der progressiven Klimakatastrophe erforscht.

Wie Wilhelm Bode schreibt (und wie bereits im ersten Teil gesagt), ist die Zeit für die forstwirtschaftliche Wende sofort fällig, ohne jedoch sofort umsetzbar zu sein. Dasselbe gilt für viele weitere Prozesse des Umdenkens und der überfälligen Aufnahme neuer Praxisformen und Policies. Es genügt längst nicht mehr, offensichtliche Missstände wieder und wieder zu kritisieren: Die eigentliche Denkarbeit liegt heute darin, konkrete methodologische und praktische Alternativen zu entwickeln – aber auch in der Frage, wie ein Umdenken erfolgreich einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Deswegen folgen noch ein fünfter und ein sechter Abschnitt.

Der fünfte Abschnitt ist ein vertieftes Plädoyer, sich als Historiker, Kunstwissenschaftler, Literaturwissenschaftler, Sprach- und Geisteswissenschaftler nicht allein auf der Ebene der oberflächlichen Betrachtung aufzuhalten, indem Bilder oder literarische Texte mit ihren uneigentlichen Allegorien und Metaphern mehr oder weniger losgelöst von der eigentlichen Ebene der Umwelt betrachtet werden, was zu falschen oder unvollständigen Schlüssen führen kann (wie der Waldliebe). Dieses Argument habe ich bereits formuliert, aber ich werde hier noch einmal eine Anschluss- und Vertiefungsmöglichkeit durch das Heine-Projekt aufzeigen, wo ich – anders als Bode mit seiner Betrachtung von Gemälden und bildlichen Allegorien – literarische Wald- und Vegetationsmetaphern der Deutschen Romantiker aus Heines ironischer Perspektive analysiert habe.

Im sechsten Abschnitt knüpfe ich an einige Vorarbeiten aus dem bereits genannten Blogbeitrag Sattelzeit, Holznot und Nachhaltigkeit: über die selten besprochenen Bergbaukenntnisse der Romantiker und andere Hintertreffen, den unveröffentlichten Masterplan des Museumsparks Rüdersdorf sowie an eine Auswahl bestehender Sekundärliteratur über Rüdersdorf an. Dazu arbeite ich an einem ausführlicheren Projekt, das mehr Zeit in Anspruch nimmt und hier nicht in Gänze wiedergegeben werden kann. Insbesondere werde ich von meiner praktischen, museumspädagogischen Erfahrung als Gästeführer historischer Führungen im Museumspark ausgehend über die Frage der richtigen Vermittlung reflektieren.

Dadurch werde ich Vorschläge ausbreiten, wie Wissensvermittlung zum epochenübergreifenden Themenkomplex Wald, Bergbau, Ressourcenverbrauch, Baustoffe und Klimawandel abseits aufgeheizter öffentlicher und (partei-)politischer Diskurse am erfolgreichsten vermittelt werden könnte (und hier besteht in Rüdersdorf großer Bedarf an weiterem Ausbau): nämlich über das Erleben und nachvollziehen Können, das stattfinden kann, wenn sich Besucher des Museumspark über ihre Primärerfahrung zwischen einem aktiven Kalktagebau mit Zementwerk, einem heute wieder sehr grünen Park, sowie vorindustriellen und industriellen Baudenkmalen bewegen.

In diesem Blogpost veröffentliche ich die Abschnitte 2 und 3. Die Abschnitte 4 bis 6 folgen später.

Naturwald, falsche Waldliebe und weitere Missverständnisse

Kommen wir zur viel zitierten, oft kritisierten „Waldliebe der Deutschen“.

Die „kollektive Realitätsvernebelung, wenn es um den Wald geht“ – nämlich die in der Romantik wurzelnde Waldliebe, die eine gesellschaftliche Hypothek darstelle, wenn es um einen realistischen Blick auf einen nach wie vor notwendigen Nutzwald geht – wurde schon angesprochen.1 Ebenso wendet sich der Autor Bode gegen die einzige vorstellbare Alternative zum Altersklassenwald, die überzeugten Naturliebhabern vorschwebt, nämlich in der Renaturierung unserer Wälder hin zu Naturwäldern. Die Rückkehr zu Primärwäldern sei ohnehin nicht mehr möglich, denn auch noch so sehr sich selbst überlassen bleibende Wälder blieben auf ewig Sekundärwälder.2 Zudem könnten diese Urwaldträumereien nicht das Problem lösen, weiterhin auf den Wald als Holzlieferant angewiesen zu sein.

Ein besonderes Problem der mitteleuropäischen Forste ohne ihre ursprüngliche Megafauna, insbesondere aber für bestimmte Baumarten wie die Tanne und die Buche, sind die großen Rehbestände, die Bode als kleine braune Heckenschere bezeichnet: Rehe fressen die meisten Keimlinge der Abermillionen von Tannensamen praktisch über Nacht auf. Eine Baumart wie die Tanne hat da keine Chance auf natürliche Verjüngung. Die „widernatürliche, weidgerechte Hegejagd“, die für hohe Rehbestände mitverantwortlich ist, bezeichnet Bode als jagdpolitische Erblast der NS-Zeit; Bezüge und Erbschaften, die wahrscheinlich vielen Menschen nicht bewusst sein dürften.3

Der Verbiss durch das Rehwild führt Bode unter anderem auf die Refeudalisierung der Jagd durch Hermann Göring und der gesetzlich verordneten Schalenwildhege zurück. Die so entstehenden, „hallenförmigen Hochwälder“, denen es an verjüngenden Nachwuchsbäumen mangelt, könnten zwar beeindruckend sein, sind aber letztlich dem „kontinuierlichen Verjüngungsabriss“ geschuldet.4 Auch hier stehen die Waldbau-Ingenieure des 19. Jahrhunderts Pate:

Georg Ludwig Hartig erschuf mit dem sogenannten Großschirmschlag eine zweihundert Jahre vorherrschende Waldbautechnik, um die Reste der Buchenwälder seiner Zeit zu nutzen und gezielt als Hallenwälder wiederaufzubauen. (…) [D]as Ergebnis ist fast immer eine Buchenmonokultur, die uns als Buchendom ein erhebendes Naturgefühl vermittelt, aber nichts als Täuschung ist. Unsere Buchenwälder sind deswegen heute artenarm, ihrer natürlichen Laubbeimischungen gänzlich beraubt, einschichtig, hallenartig ausgeräumt und viel zu jung.5

Die Abschaffung des Waldregals – d.h. das Privileg des Adels, zu jagen – nach der revolutionären Phase 1848 bewirkte zunächst einen stärkeren Abschuss des Schalenwilds, nachdem gewissermaßen eine Demokratisierung des Jagdrechts erfolgt war. Dies habe zur Erholung und Verjüngung des Buchenwaldes beigetragen, was aber nur bis zum Zweiten Weltkrieg anhielt. Dies verdeutlichen die Zahlen, die Bode liefert: Während der Buchenwaldanteil 1883 wieder bei 28 Prozent lag, liegt er durch die Verrohung des Waldbaus nach 1945 bei nur noch 4,5 Prozent seiner ursprünglichen natürlichen Ausdehnung.6

Problematisch sei auch die in den letzten Jahrzehnten – seit dem sauren Regen und den Werken der Borkenkäfer – verbreitete Ansicht, man können den Wald über den Pflanzakt wiederherstellen:

Doch eine bittere Erkenntnis verdrängen wir damit: Man kann weder Mischwälder mit vielen Baumarten noch überhaupt stabile, stets gleich alte Wälder anpflanzen, die auch nur im Geringsten mit dem natürlich angesamten, stets ungleichaltrigen Wald mithalten können. Was wir bisher angepflanzt haben, waren Forste und eben keine Wälder. Lernen wir doch zunächst einmal, dass wir Wälder, die diesen Namen verdienen, nicht in Reih und Glied anpflanzen können!7

Der Pflanzakt sei zum „Signet und zur Gewissensbereinigung“ geraten. Mischwaldpflanzungen gelten oft als scheinbare Alternative, dienten aber auch der Entschuldigung für das kontinuierliche Weiterentnehmen von Altbestand über die Kahlschlagmethode. Natürlich spielen hier kurzfristige Interessen von Holzbesitzern eine Rolle, die andererseits durchaus die Notwendigkeit der Ernte von Holz als Baustoff erkennen. Es werde heute aber weiterhin an die „Illusion von Mischwäldern aus künstlicher Pflanzung“ geglaubt und festgehalten:8

Das Grundprinzip dieser Holzerzeugung durch Holzanbau immer gleich alter Forstpflanzen wird politisch nicht hinterfragt – ein Vabanquespiel auf die Zukunft wider besseres Wissen.9

Die Vorstellung, Mischwald könne einfach so angepflanzt werden, lebe so fort, und dahinter verstecke sich oft die Wunschvorstellung, man könne zwar klimaresilienter (durch das Anpflanzen robusterer Arten), grundsätzlich aber ähnlich wie vorher weitergemacht werden. Als Alternative schlägt Bode Sukzession vor: kostenlose, natürliche Aussaat.10 Wohlgemerkt: käme da nicht immer wieder die kleine, braune Heckenschere dazwischen.

An diesem Beispiel wird in einer spezifischeren Gestalt ein viel größeres, kognitives wie intellektuelles Dilemma formuliert, das auch hinter zahlreichen Ideen über „grünes Wachstum“ und seiner Karikatur – dem sogenannten Greenwashing – steckt: Das grundsätzliche Wachstums-Paradigma wird keiner konsequenten Revision unterzogen, sondern mit Begriffen wie Nachhaltigkeit überlagert, die mehr verschleiern als offenzulegen.

Einige (leider eher marginale) Stimmen tun dies hingegen, und das folgende sind meine eigenen Beobachtungen: Ulrike Herrmann etwa empfiehlt grünes Schrumpfen.11 Die NGO Cradle to Cradle schlägt das Modell der Kreislaufwirtschaft vor.12 Besonders letzteres Konzept scheint mir besonders zukunftsträchtig und geradezu kongruent mit der Funktionsweise eines Dauerwalds zu sein. Hinter diesem Konzept steckt echte Nachhaltigkeit, worin durchaus Wachstum steckt – ein Wachstum, das sogar „angelegt für die Ewigkeit“ ist, so wie die Dauerwälder nach Möller und Bode – aber innerhalb eines natürlichen, realistischen und funktionierenden Kreislaufs.

Nachhaltigkeit – ein Wert an sich?

Doch warum ist der Begriff der Nachhaltigkeit so missverständlich – und was wird üblicherweise darunter verstanden? Auf der Seite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird Nachhaltigkeit so definiert:

Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Dabei ist es wichtig, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftlich effizient, sozial gerecht, ökologisch tragfähig – gleichberechtigt zu betrachten. Um die globalen Ressourcen langfristig zu erhalten, sollte Nachhaltigkeit die Grundlage aller politischen Entscheidungen sein.13

Weiterhin verweist das Ministerium auf die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro, auf der nachhaltige Entwicklung zum globalen Leitprinzip erklärt wurde, woraus schließlich die 17 Sustainable Development Goals (SDG) hervorgingen.

Natürlich wächst auch ein Monokiefernwald bzw. ein Altersklassenforst aus Fichten nach und wird damit der Idee des deutschen Ministeriums gerecht – ja sogar der ursprünglichen Idee von Nachhaltigkeit des 18. und 19. Jahrhunderts. Nur: wie wächst ein Altersklassenforst ohne natürliche Verjüngung, ohne ein Chlorophyll-gefülltes Inneres, ohne Totholz und erfolgreiche Keimlinge nach? Kann eine so verstandene Nachhaltigkeit überhaupt ein positiv besetzter Begriff sein?

Bode schreibt über die Förster des 19. Jahrhunderts, die der rationellen Forstwissenschaft verpflichtet waren:

Das dazu bemühte Narrativ bezeichneten die Forstleute als forstliche Nachhaltigkeit und meinten stets nur die der Holzerzeugung und nicht die eines biologisch intakten, gesunden, strukturreichen und stets von Natur aus ungleichaltrigen Mischwaldökosystems.14

Durch die Furcht vor dem Ende der Ressource Holz war bereits im 18. Jahrhundert, verstärkt aber Anfang des 19. Jahrhunderts der Begriff der Nachhaltigkeit bzw. der „nachhaltigen Benutzung der Wälder“ aufgekommen. Der italienische Agrarwissenschaftler Orazio Ciancio nennt als erste wichtige Referenz des Begriffes der Nachhaltigkeit die (lateinische) Schrift Sylvicultura Oeconomica (1713).1Ciancio, Orazio: Alfred Möllers Dauerwaldidee. Versuch einer Interpretation, in: Bode, Wilhelm (Hg.) (2021): Alfred Möllers Dauerwaldidee. Berlin: Matthes & Seitz, S. 113. Ciancio zitiert Giuseppe Pignatti zum Kontext der Entstehungsgeschichte, der bezeichnenderweise aufs Engste mit dem (sächsischen) Bergbau zusammenhängt, worauf im Zusammenhang mit dem brandenburgischen Bergbaustandort Rüdersdorf noch zurückzukommen sein wird:

Der Begriff der nachhaltigen Nutzung, also der Nachhaltigkeit, zielte auf die im Dienste des Merkantilismus begründete Notwendigkeit, die Wälder Sachsens dauerhaft einerseits für den Bergbau und andererseits für den Staat nutzbar zu erhalten.2Zit. nach Ebda.

Schon im 18. Jahrhundert, so Ciancio, gründeten sich im gesamten deutschen Kulturkreis Forstschulen, so 1763 die erste technische Forstschule in Wernigerode, 1770 die Forstakademie Berlins, 1772 die Forstschule im Stuttgarter Schloss Solitude und 1780 die Aufnahme des Forstunterrichts in Göttingen.3Ebda. In einem Lehrbuch aus dem Jahr 1804 des auch von Bode immer wieder genannten, nassauischen Oberforstrats Georg Ludwig Hartig heißt es schließlich:

Aus den Waldungen des Staates soll jährlich nicht mehr und nicht weniger Holz genommen werden, als bei guter Bewirtschaftung mit immerwährender Nachhaltigkeit daraus zu beziehen möglich ist.15

Die Frage des Zustandes des eigentlichen Waldes in Deutschland hängt direkt zusammen mit jener des Bodens und der Bodennutzung, was nicht nur den Wald, sondern besonders die Felder betrifft. Denn auch hinsichtlich der agrarischen Bodennutzung erlebten die Romantiker des 19. Jahrhunderts eine Zeitenwende: die Landwirtschaft wurde nun unter dem Einfluss von Albrecht Daniel Thaer aus Celle wie eine Wissenschaft betrieben, sodass die Erträge der Böden unter Einsatz chemikalischer Düngemittel gesteigert und wettbewerbswirtschaftlich behandelt werden konnten. Thaer gilt in Deutschland als Begründer der Agrarwissenschaften und veröffentlichte zwischen 1804 und 1812 sein vierbändiges Hauptwerk Grundsätze der rationellen Landwirtschaft.16 Die rationelle Landwirtschaft und die rationelle Forstwirtschaft müssen wir uns wie Geschwister ein und derselben Denkweise vorstellen.

All diese Aspekte sind von großer Bedeutung, weil sie nicht nur die naturräumlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts verdeutlichen, sondern die Lebenswelt einer Gesellschaft beschreiben, die dabei war, sich von einer Ständeordnung zu einer Marktwirtschaft von Privateigentümern zu verwandeln.17 Diese Zeit, die jüngere Neuzeit nach der Französischen Revolution, stand durch die Veränderungen der eigentlichen Natur – ob Wald, Gebirge, Boden, Luft oder Wasser – auf der Schwelle, auch im Denken durch und durch modern zu werden. Es ist unser Denken, von dem wir uns nur halbherzig bereit sind, zu trennen. Auf der Grundlage unseres heutigen Wissens über den Schaden, den lineares Wachstum und Kahlschlag gebracht haben, müssen wir uns auf neue Denkgewohnheiten umstellen.

Holz als Brennstoff und der Ausstoß von Kohlenstoff-Emissionen

Der Nutzen des Nachhaltigkeitsgedankens muss sich heute an einem viel drastischeren Befund messen lassen als im 19. Jahrhundert. Immer stellt sich unter Bedingungen der progressiven Klima-Katastrophe die Frage: Wie steht es eigentlich um die CO2 – Emissionen, also in diesem Fall des angeblich nachhaltigen Wirtschaftsforsts? Man mag sofort denken, dass es zwar einen quantifizierbaren Unterschied machen könne, wieviel CO2 gespeichert wird – je nachdem, ob die Bäume des Waldes nun alle gleichaltrig und von einer Baumart sind, oder ob es sich um einen Mischwald aus Bäumen unterschiedlichen Alters und Größe handelt. Klar: ein ausgefüllter Mischwald speichert mit Sicherheit mehr als eine halbnackte Kiefernsteppe. Aber das macht den Monokiefernforst doch deswegen nicht „nutzlos“?

Leider doch: Mehr als die Hälfte des geschlagenen Holzes dient laut Bode heute der Verbrennung, also als Energiequelle, und nicht als Zukunftsrohstoff Nutzholz. In Form von Pellets wird das im Holz gespeicherte CO2 noch im Jahr der Ernte in die Luft geblasen, was diese Art von Forst so nutzlos aus klimatischer Sicht macht.18 Heute würden mehr als 50 Prozent des deutschen Holzeinschlages verfeuert.19

Inzwischen ist die industrielle Herstellung von Pellets einer der größten Waldvernichter auf dem gesamten Globus, und das unter dem Vorwand, Klimaschutz betreiben zu wollen. Das hieße aber, Nutzholz zu erzeugen, um daraus langlebige Produkte herzustellen und am besten Häuser daraus zu bauen. Das könnte ein gewaltiger Klimaschutzbeitrag unseres Waldes sein, der alles politische Gerede um ein vielfaches überträfe.20

Brennholz sollte nicht Zielprodukt, sondern wieder Zwangsprodukt der Holzerzeugung werden. Das Verbrennen von Holz als Scheit im Zierkamin oder Kachelofen sind nicht energiepolitisch unverantwortlich, sondern allein die großmaßstäbliche, industrielle Aufbereitung zum homogenisierten Brennstoff.21

Nachhaltige Bodenzerstörung

Ein weiteres großes Problem stellt die Holzernte und ihre Entwicklung in den letzten Jahrzehnten dar. Während der (vom Maler Antonin Hudecek in „Im Waldesinneren“ 1941 gemalten) sogenannte „Durchforstungsschlag“ als selektive Form der Holzernte eine bodenschonende, zudem auch sozial erträgliche Methode darstellte, wurden im Zuge der fortschreitenden Verwendung schwerer Holzerntemaschinen 60 – 80 Prozent der Waldarbeiter-Stellen abgebaut.22 Begleitet wurde dieser Prozess von zunehmend großen Kahlhieben, so Bode:

Diese Holzernte durch Kahlhieb, der GAU jeglicher Waldökologie, ihre Totalvernichtung, übernehmen inzwischen der Waldbrand, der Borkenkäfer, die Sommertrockenheit und Forstmeister Sturm. Sie abzuwenden liegt allein in der Hand der Förster und Waldbesitzer, nämlich einen anderen, stabileren Forst zu bauen, der den Begriff Wald verdient.23

Maschinelle Ernte ist laut Bode ethisch unverantwortlich, weil Maschinen ca. 20-35 Tonnen, manchmal bis zu 70 Tonnen wiegen, wodurch das Porenvolumen des Waldbodens verdrückt wird. Die biologische Bodenlebewelt sei schon nach einmaligem Befahren nicht mehr in der Lage, den Schaden wieder aufzuarbeiten. Dafür benötige sie viele Jahrzehnte.24

Abschließend und überleitend für die nächsten Abschnitte 4, 5 und 6 möchte ich noch einmal Wilhelm Bode meinen Dank aussprechen, mit dem ein für mich sehr fruchtbarer Austausch entstanden ist. So hat mir der Autor seine Bücher Dauerwald – leicht gemacht sowie Alfred Möllers Dauerwaldidee zukommen lassen, die ich mit Sicherheit gewinnbringend verarbeiten werde. Ich werde diese und alle weiteren Referenzen und Quellen im letzten Blogpost noch einmal in einer Literaturliste würdigen. Ich möchte außerdem feststellen, dass es in derselben Reihe des KJM Verlags ein weiteres Buch des Autors Uwe Rada unter dem Titel Neuwald gibt, das in die weiteren Beiträge einfließen wird und sich mit Waldendzeit ergänzt.

Fußnoten

1 Bode, a.a.O., S. 22; 35-36.

2 Bode, a.a.O., S. 93-94.

3 Bode, a.a.O., S. 122.

4 Bode, a.a.O., S. 72.

5 Bode, a.a.O., S. 73.

6 Bode, a.a.O., S. 74.

7 Bode, a.a.O., S. 39.

8 Bode, a.a.O., S. 96.

9 Bode, a.a.O., S. 96.

10 Bode, a.a.O., S. 94-95.

11 Vgl. Herrmann, Ulrike (2022): Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Köln: Kiepenheuer & Witsch; Herrmann, Ulrike: Schrumpfen statt Wachsen, in: taz vom 17.9.2022, URL: https://taz.de/Kapitalismus-und-Klimaschutz/!5879301/ (zuletzt abgerufen am 24.10.2022).

12 Umdenken: Die C2C Denkschule, URL: https://c2c.ngo/cradle-to-cradle/ (zuletzt abgerufen am 04.02.2025).

13 https://www.bmz.de/de/service/lexikon/nachhaltigkeit-nachhaltige-entwicklung-14700

14 Bode, a.a.O., S. 88.

15 Siemann, Wolfram: Die ökologische Revolution: Der neue Umgang mit der Natur, in: Piereth, Wolfgang (Hg.) (1997): Das 19. Jahrhundert. Ein Lesebuch zur deutschen Geschichte 1815-1918 (Mit einem Vorwort von Wolfram Siemann). München: C.H.Beck, S. 75.

16 Siemann, S. 77.

17 Siemann, S. 76-77.

18 Bode, a.a.O., S. 88-89.

19 Bode, a.a.O., S. 111.

20 Bode, a.a.O., S. 111.

21 Bode, a.a.O., S. 112.

22 Bode, a.a.O., S. 106-107.

23 Bode, a.a.O., S. 108.

24 Bode, a.a.O., S. 109-110.

Bild von Michael Reichelt auf Pixabay

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