Zur Relevanz der Forstwissenschaft im Klimawandel
Die Wälder und Forste Mitteleuropas sind so bedroht wie noch nie. Der Forstwissenschaftler und Umweltschützer Wilhelm Bode fordert in seinem Essay Waldendzeit (2024) deswegen eine „kopernikanische Wende“ der Forstwirtschaft und Waldbauwissenschaft – die keinen weiteren Aufschub duldet. Das Ziel sei, endlich klimaresiliente Wälder zu schaffen – die auch in ihren Innenräumen vollständig mit Chlorophyll ausgefüllt sind. Deshalb geht es dem Autor in seinem Buch darum, „unsere forstliche Kognition zu schärfen, um als Bürger und Wähler mitentscheiden zu können, wie man zukunftsfähige, naturreiche Wirtschaftswälder aufbauen sowie gleichzeitig betörend schöne Kulturwälder vor unserer Haustür genießen kann. Den Weg weist allein der Dauermischwald“.1
Doch um dahin zu gelangen, bedürfe es auch unter Vertretern einer falschen Waldliebe eines Umdenkens. Bode spricht sich in diesem Zusammenhang wiederholt gegen falsches Sentiment im Zusammenhang mit verklärten Waldbildern aus, die eigentlich keine Wälder, sondern Wirtschaftsforste sind: während die Einen alles mit mehr als 20 Bäumen für einen Wald hielten, wollten die Anderen zurück zum unantastbaren Naturwald. Am Ende sei ein guter Kompromiss zwischen Natur- und Nutzwald möglich: ein stabiler, klimaresilienter Wald, der uns seelisch berührt (etwa beim Waldbaden), sowie gleichzeitig ein biologisch nachhaltiger und produktiver Dauermischwald ist.2
Bode verwendet durchgehend den Begriff Altersklassenwald, um Monofichtenforste, Monokiefernforste oder auch sogenannte Hallenwälder aus Buche (den „Buchendom“) zu bezeichnen. Bis in jüngste Zeit sei die vorherrschende Praxis, Altersklassenwälder zu pflanzen, nicht in Frage gestellt worden. Obwohl es sich bei unseren „Wäldern“ um Monokulturen, Wirtschaftswälder, Nutzwälder, Kunstwälder, Altersklassenforste, Kiefernsteppen usw. handle, werde der viel angemessenere Begriff Altersklassenwald weiterhin konsequent umgangen. Im forstlichen Studium des Autors sei keinerlei kritische Sicht auf die nur vermeintlich nachhaltige Forstwirtschaft mit ihren heute so problematischen Folgen vermittelt worden. Die Herausbildung der rationellen Forstwissenschaft in Deutschland sei hingegen als „historisches Großverdienst verehrt“ worden.3
Unsere unpräzise Wortwahl und verzerrten Vorstellungen von Wald haben auch mit ikonischen Bildern zu tun, die unser Denken prägen – und oft genug in die Irre führen. Man denke nur an das Windows-Bild Bliss, das laut einem Beitrag auf Arte durch seine Verwendung im Betriebssystem Windows XP zum bekanntesten Bild des 21. Jahrhunderts wurde: Es zeigt einen scheinbaren Idealzustand einer Wiese an – obwohl es tatsächlich einen völlig unnatürlichen Umweltzustand in Kalifornien abbildet.4 Nicht anders verhält es sich mit verbreiteten Wald-Bildern im deutschsprachigen Raum. Um diesen Blick zu schärfen, schlägt Bode vor, bei unserem von der Malerei der Romantik geprägten Blick anzufangen.5 Besonders in Caspar David Friedrich, dem Autor ikonischer Gemälde des Waldes, sieht er einen frühen, „einsamen Rufer“ in der „heraufziehenden Fichten- und Kiefernwüste“, den es gälte neu zu interpretieren.6

Forstwissenschaftliche Blicke in die Kunstgeschichte haben dabei mehrere Funktionen. Einerseits hilft die Analyse, Lücken im bestehenden Wissen der Kunstgeschichte zu schließen oder Deutungsfehler auszubessern, wie am Beispiel des Bildes Winterlandschaft:
Es [das Gemälde Winterlandschaft] macht seit mehr als 100 Jahren die Kunstkritik jedenfalls ratlos. Sie hat allerdings noch nie zuvor den forstgeschichtlichen und waldökologischen Blick auf das Werk Caspar David Friedrichs gewagt, so wie hier.7
Auch das forsthistorische Motiv hinter der Sepiazeichnung Landschaft im Riesengebirge (um 1810), ebenfalls von Caspar David Friedrich, sei lange Zeit durch die Kunstgeschichte nicht identifiziert worden. In neuer Lesart könne das Gemälde als präzise und erstmalige Darstellung eines Fichten-Altersklassenwaldes gelten. Im Hintergrund des Gemäldes seien sogar die Schlagfronten der Buchenniederwälder zum Zeitpunkt ihrer Umwandlung zu sehen.8 Obwohl es vom Anfang des 19. Jahrhunderts datiert, hätte es aber ebenso gut in den 1950er-1960er Jahren als Fotografie entstanden sein können – was auch die longue durée, also das lange Gewordensein der damaligen und heutigen Entwicklungen aufzeigt, denn schließlich verdanken sich beispielsweise die brandenburgischen Monokiefernwälder der heutigen Zeit eben jenen, damaligen Weichenstellungen.
Zum anderen legt der Autor über die Bildanalysen Metaphern und Allegorien offen. Wie ich in anderen Arbeiten oft thematisiert habe, erweist sich die Metaphernanalyse als hilfreich, implizite Denkweisen und Konzeptsysteme offenzulegen. Wie im Heine-Projekt gezeigt wurde, waren Vegetationsmetaphern während der Sattelzeit an der Schnittstelle zur Industriemoderne in Europa für die metaphorische Konzeptionalisierung von Nationalstaatlichkeit zentral. Dabei beschritt Deutschland zwar einen markanten, aber keinesfalls einen Sonderweg: Wie zahlreiche andere Beispiele für politisch gewendete Vegetationsmetaphorik zeigen, ist dies vielmehr eine Konstante in den Nationalismuskonzepten des 19. und 20. Jahrhunderts.9 Die Bedeutsamkeit metaphorischer Konzeptsysteme und ihrer Verwässerungen ist nicht nur für die Romantik und den Themenkomplex Nationalstaatlichkeit relevant, sondern auch für heute noch verbreitete Begriffe wie Nachhaltigkeit und Wachstum, auf die im Lauf dieses Beitrags noch zurückzukommen sein wird.
Innovative Blicke auf die Geschichte
Doch bevor ich auf einige konkretere Beispiele verbreiteter Trugbilder über den Wald eingehe, historisch erprobte und von Bode empfohlene Alternativen für die Forstwirtschaft betrachte, sowie abschließend die Anschlussfähigkeit der Bode’schen Betrachtungen für andere Projekte und Felder diskutiere, soll in den folgenden Abschnitten aufgezeigt werden, worin genau der innovative Blick des Autors besteht: Ob Kunstgeschichte, Mentalitätsgeschichte, Geschichtsschreibung im Allgemeinen und nicht zuletzt die deutsche, europäische und globale Umweltgeschichte: sie alle können von Waldendzeit außerordentlich profitieren.
Kunstgeschichte
Die Analyse von Metaphern und Allegorien, die immer auch eine Rückübersetzungsleistung von der uneigentlichen (d.h. übertragenen) auf die eigentliche (d.h. dingliche, ereignisgeschichtliche) Ebene bedeutet, kann über die Einbeziehung der Umwelt- und Forstgeschichte auch einen frischen Blick auf etablierte kunstgeschichtliche Deutungen ermöglichen. Der zentrale Künstler in Bodes Buch ist Caspar David Friedrich, die zentrale Epoche die deutsche Romantik. Dies ist natürlich alles andere als verwunderlich, denn Maler und Epoche sind bekannt für ihren überbordenden Gebrauch Naturbildern, die fast immer gleichzeitig Metaphern oder Allegorien sind.
Caspar David Friedrichs Werk „Wanderer über dem Nebelmeer“ gilt als unumstrittene Ikone der romantischen Malerei Deutschlands. Die Geschichte der wechselnden Besitzer des Gemäldes, aber auch die Bandbreite von Interpretationen und Deutungen des Motivs seien erstaunlich, so Bode: Einmal werde der Städter auf dem Erlebnisweg zurück zur Natur gedeutet, dann Widersprüche des Seins entdeckt, ein ewiges Licht interpretiert oder die von Gott geschaffene Natur und Friedrichs Religiosität insgesamt ins Zentrum gerückt.10
Besonders die Frage, um wen es sich bei der in Rückenansicht gezeigten Person eigentlich handeln könnte, ist interessant: Die Deutung, dass es ein Wanderer ist, wie im erst seit den 1950er Jahren etablierten Titel, hält Bode nicht für plausibel. Wandern in den Bergen sei zu Friedrichs Zeiten völlig unüblich gewesen.11 Der Titel „Wanderer über dem Nebelmeer“ sei aber nicht zuletzt auf die Instrumentalisierung und Verklärung Friedrichs durch die Nazis in den 1930er Jahren zurückzuführen, als Bergsteigen und Wandern als Ausweis „germanischer“ Lebenstüchtigkeit und „arischer“ Drahtigkeit galten.12
Kunsthistorisch wird das Gemälde um das Jahr 1818 datiert und sollte deshalb vor dem Hintergrund der nachnapoleonischen Zeit mit ihren raschen Veränderungen von Leben und Kulturlandschaft sowie den Folgen der Aufklärung in all ihren Facetten gelesen werden:
Wie die Nacht vor dem Morgen war sie für die romantischen Maler darum eine Zeit der Düsternis, der Mutter aller Zukunftsängste. Motiv seines Wanderer-Gemäldes ist also die ihn bewegende Frage, wie und wohin die Landschaft und die Welt sich verändern wird. Er malte sie nicht, wie sie existiert, sondern ihre insinuierende Betrachtung durch einen unbekannten Dritten, der später nur fälschlich als Wanderer bezeichnet wurde, aber tatsächlich eine zentrale Bedeutung für den präzisesten Landschaftsmaler erkannten Romantiker haben musste.13
Ein weiterer Grund, warum die Interpretation, dass es sich bei der Figur um einen Wanderer handle, auch heute noch so verbreitet ist, besteht in der bis heute nachwirkenden Verklärung des Waldes durch die Romantiker: Exemplarisch dafür steht das Motiv der Waldeinsamkeit, wie in Ludwig Tiecks berühmtem Gedicht im Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ (1797).14 Während das Motiv der Waldeinsamkeit zumeist eine zurückstrebende Bewegung, zumindest aber eine innerliche Emotion ausdrückt („der Wald als Seelenheimat und Ruhepol des Menschen angesichts rascher Veränderungen“, S. 21), interpretiert Bode die Figur des Wanderers sehr viel profaner und stärker an naturräumlichen Bedenken und an der Zukunft interessiert:
Friedrichs Wanderer ist ein kontradiktorisches Statement zur ansonsten erschallenden Hymne auf die Sehnsucht nach bedrohter Waldeinsamkeit. Es ist nicht ein wehmütiger Blick zurück, sondern einer auf die unsichere Zukunft.15
Auch Heinrich Heine hat im Jahr 1851, also viel später als Tieck, ein Gedicht mit dem Titel Waldeinsamkeit verfasst – das in seiner für ihn so typischen Ironie und Distanz auch als Replik auf die Waldeinsamkeiten der Romantiker verstanden werden kann.16 Bode vermutet – durchaus forsch – dass es sich beim Wanderer eigentlich um einen Förster handeln könnte:
Kann es nicht also genau so sein, dass Caspar David Friedrich mit seiner Rückenfigur einen Forstmann malte, der in die Zukunft des anbrechenden Tages über eine im Nebel kaum erkennbar mit Kiefern bewaldete Landschaft hinweg schaut – und keine Vorstellung davon zu haben scheint, was die forstliche Aufklärung für die Landschaft der Zukunft letztendlich bedeuten wird?17
Das Blicken in Richtung einer Zukunft, die man nicht kennen, aber trotzdem anvisieren kann, scheint das zentrale Motiv des Bildprotagonisten zu sein; das Motiv stehe allegorisch für den Försterberuf und die Taxatoren, die Bode auch auf anderen Bildern Friedrichs erkennen will. Taxatoren („Schätzer“) waren von Berufs wegen an Einschätzungen der Zukunft interessiert, denn sie hatten
Entscheidungen zu treffen, deren Folgen niemand vier Generationen im Voraus vorhersehen, nicht einmal erahnen konnte. Eben dieser Tatsache waren sie sich kaum bewusst, sie trafen sie trotzdem, nämlich im Nebel der Zukunft. Nicht zuletzt die dunkelgrüne Kleidung des Wanderers spricht für einen höheren Forstmann der Zeit, noch war keine einheitliche Forstuniform üblich.18
Obwohl Caspar David Friedrich – laut Bode „der aufmerksamste Beobachter“ der naturräumlichen Veränderungen seiner Zeit, „wie kein Maler vor und nach ihm“ – Fichten von Tannen bildlich klar differenzieren konnte, nannte er Fichten dennoch permanent „Tannen“. Ein unwesentliches Detail? Und können nicht auch heute viele Menschen beide Baumarten nicht unterscheiden? – Wohl kaum, so Bode:
Dieser Aspekt von Friedrichs Malerei wurde bis heute nirgends gesehen und von der Kunsttheorie nicht diskutiert. Sie erkennt zwar die merkwürdige Häufung von immergrünen Nadelhölzern auf seinen Bildern, deutet sie aber als Hoffnungssymbol, so wie die in den Himmel weisenden Spitzen der Nadelbäume als Gottesbeweis. Sie überprüft nicht einmal, ob die von ihm selbst als Tannen bezeichneten Bäume tatsächlich auch Tannen sind. Sie sind es in der Mehrzahl nämlich nicht, sondern es handelt sich fast ausschließlich um Fichten.19
Zwar dürfen Friedrichs Bilder keinesfalls als fotografisch genaue Aufnahmen missverstanden werden, da er seine Kompositionen durchaus abweichend von der Wirklichkeit zusammenstellte. Genau diese Absichten des Malers, quasi zwischen den Pinselstrichen, gelte es, zu erkennen:
Nichts, was Bäume und Wald in Friedrichs Gemälden angeht, überlässt er dem Zufall. Er darf unter allen romantischen Malern als der konsequenteste wie auch subtilste Gegner der »kalten« Errungenschaften der sogenannten forstlichen Aufklärung verstanden werden. (…) Er stellte mit dem Wanderer punktgenau an der Schwelle zur Waldbauzeit intuitiv die Frage, wohin die Errungenschaften der rationellen Forstwirtschaft und ihre Veränderungen in der Landschaft dereinst führen werden – die Antwort ist: in eine Waldendzeit.20
Caspar David Friedrich ist dennoch nicht der erste Maler, dessen Werke Auskunft und Rückschlüsse über die Entwicklung der Wälder zulassen. Bereits ab dem 15. Jahrhundert gerieten die vormaligen Buchenbestände in immer stärkere Bedrängnis, wie es sich auch auf dem Gemälde Heiliger Johannes der Täufer von Geertgen tot Sint Jans aus dem Jahr 1485 abbildet. Bereits zu Friedrichs Zeiten waren die natürlichen Buchenmischwälder auf dem Rückzug – denn sie wurden verfeuert, ohne je wieder nachgepflanzt zu werden. Die Nutzung der Steinkohle und die technische Innovation des Untertagebaus später im 19. Jahrhundert trafen auf eine sich verschärfende Nutzholzkrise.21 Diese Nutzholzkrise wird anderweitig auch als Holznot bezeichnet – ein besonders in den 1980er Jahren kontrovers diskutierter Begriff der Historiographie, der bei Bode jedoch nicht vorkommt; aus ihr heraus wurden die rationelle Forstwissenschaft und Forstwirtschaft geboren:22
Fast durch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch wurden deshalb vor allem die Buchen-Brennholz- und Eichen-Gerbrinde-Niederwälder durch Kahlschlag in Monokulturen aus Fichte oder Kiefer umgewandelt. Friedrich malte auch diesen Vorgang präzise wie ein Landschaftsfotograf unserer Zeit in seinem (später fälschlich) als »Winterlandschaft« (S. 68) bezeichneten Gemälde während der Düsternis napoleonischer Besetzung 1811.23
Bereits Albrecht Dürer (1471-1528) malte mit Der Weiher im Walde (um 1495/96), vermutlich auf der Rückreise aus Italien in der Oberpfalz (dem „Ruhrgebiet des 15. Jahrhunderts“) einen stark geschädigten Bergmischwald. Es wird vermutet, dass darauf auch Orkan-Schäden zu sehen sind. Das Bild erinnert an unsere heutigen Nadelholzreinbestände aus Pflanzung, wobei der Wald zu Dürers Zeiten noch „aus einer unregelmäßigen Exploitation des Laubholzes und der Tannen hervorging“.24 Dennoch gab es bereits verbindende Merkmale zum heutigen Altersklassenwald: annähernde Einschichtigkeit; leere, ausgeräumte Waldinnenräume; eine verarmte Baumartenzusammensetzung aus nur noch Kiefer und Fichte.25 Das Motiv des Morbidität ausstrahlenden Bildes Dürers bleibe letztlich unklar. Womöglich nimmt es Bezug auf die Pest-Pandemie in Dürers Heimatstadt Nürnberg.26
Darüber hinaus eröffnet Bode eine neue Lesart einer erstaunlich großen Anzahl weiterer Künstler, auch weit über die Romantik hinaus bis in das 20. Jahrhundert hinein. Auch Gustav Klimt malte Altersklassenwälder mit ihren leeren Waldinnenräumen und vertikalen, optisch strengen Struktur – und auch er verwechselte dabei Tannen mit Fichten, was sich zu einem sehr verbreiteten Irrtum etablieren sollte.27 Max Ernst malte ebenso Forste – gleich mehrfach, etwas in Wald (Forêt) 1925 und in Sehr hübscher langgestreckter Wald (1925).28 Betrachtet man all diese und weitere Kunstwerke nicht losgelöst von den waldbaulichen Veränderungen und Entwicklungen ihrer Entstehungszeit, so werden unter Umständen ganz neue Deutungsmöglichkeiten sichtbar.
Mentalitätsgeschichte
Auch mit Blick auf die Mentalitätsgeschichte ist das Buch lohnenswert. Die Romantik gilt als die Epoche schlechthin, die später oft ausschließlich als Ausdruck von Kitsch wahrgenommen werden sollte. Betrachtet man die Gemälde der Romantik vor dem politischen Hintergrund ihrer Zeit, so ist diesen Gemälden sofort der starke, antinapoleonische Impetus anzumerken. Bode greift in diesem Sinn einige Spätfolgen der Waldverklärung durch die Romantiker auf, die einen notwendigen, rationalen Blick auf den heutigen Wirtschafts- und Altersklassenwald verstellen, was auch die Umweltbewegung geprägt habe. Paradoxerweise hat sich andererseits gerade das, was in der neuen Forstwissenschaft als rational und fortschrittlich erachtet wurde, als zutiefst problematisch und erratisch erwiesen. Beide Hypotheken können also als problematisch gelten:
Die Romantik begründete damit das, was als typisch bezeichnet wird, unsere deutsche Waldliebe. Sie versetzt uns bei Befassung mit dem Wald – sei sie literarisch, bildnerisch, beim Waldspaziergang oder neuerdings beim Waldbaden – in eine merkwürdige seelische Befangenheit, ja in einen Gefühlsrausch – eine kollektive Realitätsvernebelung, wenn es um den Wald geht.29
Die in der Romantik wurzelnde Waldliebe der Deutschen sei eine „gesellschaftliche Hypothek“: Sie verneble den Blick auf die Notwendigkeiten der Holzerzeugung und suggeriere letztlich oft, es müsste eigentlich darum gehen, den Wald in einen Naturwald zu überführen (genauer weiter unten).30
Historiographie allgemein
Neben den fruchtbaren Rückschlüssen für die Kunstgeschichte und Mentalitätsgeschichte ist die Betrachtung Bodes auch hilfreich für die Historiographie in einem weiteren, allgemeinen Sinn. Das Beispiel des Fortwirkens der sogenannten Waldliebe der Deutschen bei gleichzeitiger Veränderung der spezifischen Textlichkeit kann auch als Ausprägung einer longue durée verstanden werden. In der Historiographie wird die longue durée (lange historische Gewordenheit) zwar oft und gerne zitiert. Durch die meist vorherrschende, kleinteilige Perspektive ihrer Beschäftigungsgegenstände gelingt es ihr jedoch oft nicht, daraus mehr als ein geflügeltes, wohlklingendes Wort zu machen: Es wird letztlich nicht geliefert. Doch um nichts Geringeres als das geht es bei den Veränderungen der Wälder über einen mehrere Jahrhunderte währenden Zeitraum, der bis heute prägend ist:
Es gibt wohl keine Periode in der deutschen Waldgeschichte, in der sich das gewohnte und in Resten noch natürliche und ungeordnete wie auch ästhetische, wenn auch häufig lichte und lückige Waldbild derart tiefgreifend veränderte wie als Folge dieser forstlichen Aufklärung in nur wenigen Jahrzehnten um 1800.31
Dass die Romantiker besonders intensiv Gebrauch von Wald- und Vegetationsmetaphern machten, lässt auf das genaue Gegenteil vitaler, verbreiteter Naturlandschaften schließen:
In rasender Geschwindigkeit verschwand gerade das Waldbild, das die Dichter und Maler der Zeit just zu romantisieren begannen. (…) Sie machten aus dem einst romantischen Wald das, was 100 Jahre später ein anderer berühmter Forstmann, der Eberswalder Professor Alfred Möller (1860-1922), treffend als Holzacker bezeichnete.32
Aus diesem Grund ist das Buch auch zum besseren Verständnis der Umwelt- und Forstgeschichte aufschlussreich und kann in einen viel breiteren Bestand von Forschungsliteratur eingebettet werden. Wie die folgenden Abschnitte zeigen werden, betrifft das nicht nur die deutsche, sondern die europäische und sogar globale Forstwissenschaftsgeschichte.33
Umwelt- und Forstgeschichte Mitteleuropa, Deutschland, global
Im engeren, deutschen Rahmen ist zunächst die Entwicklung in Sachsen und Thüringen relevant, weil hier die bedeutendsten frühen Forstwissenschaftler, Heinrich Cotta (1763-1844) und Georg Ludwig Hartig (1764-1837), wirkten – insbesondere im sächsischen Tharandt. Auch Caspar David Friedrich wirkte zu Lebzeiten in Tharandt in Sachsen, weshalb laut Bode nicht ausgeschlossen werden könne, dass er mit einigen der Hauptprotagonisten der sogenannten „forstlichen Taxation“ und „rationellen Forstwirtschaft“ in Austausch gekommen war. Zwischen 1780 und 1830 gingen die Taxatoren daran, die Wälder in nie dagewesener Regelmäßigkeit umzugestalten, und zwar mit sogenannten Fachwerken, womit nicht die Bautechnik, sondern eine Arithmetik der Pflanzung gemeint ist:
Als später verfeinertes Massenfachwerk hielt es sich wegen seiner leicht kontrollierbaren Wirksamkeit durch das ganze 19, Jahrhundert hindurch als gängige Methode der Forstplanung. Diese Fachwerke schufen grundsätzlich und systematisch „Ordnung“ im Wald und galten als Grundlage jeder aufgeklärten, nämlich rationellen Forstwirtschaft, in deren Folge allerdings vor allem Kiefern und Fichten die von Natur aus vorherrschenden Laubwaldungen ablösten. Die kulturellen Begleitphänomene waren landesweit eine sofort sichtbare, wachsende Eintönigkeit, Gleichaltrigkeit, Bodenverarmung, Austrocknung, Baumartenarmut und Nadelholzverbreitung.34
Der Sachse Heinrich Cotta (1762-1844) und der Hesse Georg Ludwig Hartig (1764-1837) haben den Weltruf deutscher Forstwissenschaft im 19. Jahrhundert begründet, indem sie zunächst gegen die erfahrungs- und praxisgestützte „Hausväterliteratur“ vorgingen, in der z.B. das traditionelle Wissen im Umgang mit Plenterwäldern (genauer weiter unten) beschrieben wurde. Mittels ihrer „forstlichen Aufklärung“ wollten sie (erfolgreich) „eine ideologisch durchdachte, systematische Holzproduktion“ erreichen. Wie bereits festgestellt, war die Holznot ausschlaggebend:
Die Kopfgeburt des Altersklassenwaldes war vollzogen. Cottas weltberühmtes Werk baute auf dem Flächenfachwerk auf. In seinem Vorwort schrieb er den bis heute gültigen Satz: »Wir haben eine Forstwissenschaft, weil es uns am Holze fehlt.«35
Cotta gründete zunächst in Thüringen eine Forstlehranstalt, dann im sächsischen Tharandt 1811 die weltweit erste Forsthochschule.36
Sie wurde das ganze 19. Jahrhundert hindurch zum Zentrum der wissenschaftlichen Bearbeitung der rationellen Forstwirtschaft auf Grundlage dieser Flächenfachwerke. Sie bildeten die Wiege und Basis der forstlichen Nachhaltigkeit, der vermeintlich rationellen Forstwirtschaft im Altersklassenwald. Die damit gezielt angegangene, sehr rasche Verfichtung der meisten deutschen Mittelgebirge brachte es später sogar zu einem eigenen forstlichen Fachbegriff, der sogenannten sächsischen Bestandswirtschaft.37
Doch die Entwicklungen in Sachsen und Deutschland nahmen eine viel weitere Dimension und Strahlkraft an. Die heutige Notwendigkeit des Entstehenlassens von Dauerwäldern sei laut Bode „eine nationale Bringschuld“ – und die zu bringende Leistung besteht aus der Gleichzeitigkeit, den Wald umbauen und klimafest machen zu müssen, gleichzeitig aber gewährleisten zu müssen, dass weiterhin (und sogar mehr und nachhaltiger) Holz produziert werden könne. Der nationale Aspekt liegt in der Geschichte der internationalen Strahlkraft der deutschen Forstwissenschaft begründet:
Der hier kritisierte Altersklassenwald wurde ab 1880 durch deutsche Forstleute zum weltweiten Exportschlager wie später nur das Automobil. Es ist nicht ausgemacht, was die Biosphäre dereinst mehr geschädigt haben wird, der Individualverkehr mit dem Auto oder der krisenanfällige Altersklassenwald zur Holzerzeugung. Beide sind historisch jedenfalls deutsche Innovationen. Wir tragen eine forstgeschichtliche Verantwortung für die Biosphäre.38
Die forsthistorische deutsche Verantwortung hängt nach Ansicht Bodes mit eben jener deutschen Innovation des Altersklassenwaldes und der Forstwissenschaft insgesamt zusammen:
Tatsächlich tragen wir aber eine vielfach höhere Verantwortung als alle großen Waldnationen der Welt. Nicht nur, weil sich unsere CO2-Emissionen in der Atmosphäre seit der Industrialisierung angereichert haben und das Problem heute mit auslösen. Sondern weil wir es waren, die der Welt 100 Jahre lang die naturferne Altersklassenwirtschaft als nachhaltig gepriesen haben, sie uns glaubte und uns gefolgt ist. Es gilt also, unsere forsthistorische Altlast zu bereinigen, indem wir der Welt zeigen, wie man mithilfe des vor schon 100 Jahren in Deutschland entwickelten Dauerwaldes die Holzerzeugung volkswirtschaftlich erfolgreich und klimastützend organisieren kann – eine waldbauliche Methode, die sich wegen ihres systemischen Vorgehens überall auf der Erde problemlos anwenden ließe.39
Der Siegeszug der Kiefern und Fichten
Die Fichte wurde durch die rationelle Forstwissenschaft im 19. Jahrhundert zum Brotbaum – der inzwischen freilich längst „vom Brotbaum zum Notbaum“ der Forstwirtschaft geworden ist. Kaum weniger problematisch sind die Monokiefernbestände: Waldbrand in Deutschland ist laut Bode hauptsächlich ein Problem der Kiefernsteppen, was sich auch ganz hervorragend an den häufigen Waldbränden in Brandenburg beobachten lässt. Kiefernreinbestände haben eine insgesamt schlechte Prognose im Klimawandel, ein Problem, das mehr oder weniger direkt auf dem Werk von Forstmeistern der Vergangenheit aufbaut.40
Als Folge der Jahrhunderttrockenheit 2018-2020 sind mindestens 650.000 Hektar Kahlflächen im deutschen Wald entstanden, und zwar zuvorderst in Fichten- und Kiefernmonokulturen. Dadurch wurden auch schwer berechenbare, jedenfalls ungeheuerliche Mengen an CO2 freigesetzt. Wie Bode feststellt, ist bislang keine Umkehr von diesem untauglichen Prinzip in relevantem Maß feststellbar:
Noch immer halten wir ungefähr 50 % unserer Waldfläche in dieser labilen Waldstruktur mit Kiefern und Fichten.41
Doch auch die heute existierenden Laubwälder (zum Beispiel aus Buchenbestand) seien wenig resilient, ähnlich baumartenverarmt wie Nadelholzforste, ihr Waldbinnenklima stark gestört. Was all diese Wirtschaftsforste verbindet, ist ihre extreme und im Klimawandel problematische Baumartenarmut.42 Das Innenleben der unnatürlichen Fichtenforste, die immer Altersklassenwälder sind, ist leer und fast leblos:
Nichts ist tatsächlich natürlich im künstlichen Fichtenreinbestand, der nicht zufällig später von Elias Canetti (1905-1994) mit einem marschierenden Wald verglichen wurde, der unseren angeblich militaristischen Nationalcharakter widerspiegeln soll. Fichtenmonokulturen verhindern Natur, statt sie zu schaffen, obwohl sie das Potenzial haben, uns verzaubern zu können wegen ihrer formalen Ästhetik.43
Der Siegeszug der Fichten und der Kiefern in deutschen Forsten bildet sich zum Beispiel in Brandenburg in über 70 Prozent Monokiefernforstbestand ab. verdient besondere Aufmerksamkeit. In den Mittelgebirgen oder auch im Allgäu wurde die Fichte zum dominanten Baum der Altersklassenwälder. Es brach eine regelrechte „Fichtenmanie“ aus. Doch wie ist es dazu gekommen?
In der entstehenden Forstwissenschaft wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die sogenannte Bodenreinertragslehre dominant, die den Erntezeitpunkt genau berechnete. Ausgehend vom Prinzip der Rentabilität rutschten dabei alle Laubbaumarten ins Minus und in die „Unrentierbarkeit“. Der Ausspruch Cottas: „Weg mit den faulen Gesellen“ war als Kampfansage an die „Mutter des Waldes“ (Bode) zu verstehen – nämlich an die Buche.44 Speziell Kiefern und Fichten waren außerdem geeignet für die schnelle Rückgewinnung kahler, einstiger Waldflächen, schon aufgrund der kleinen Samen. Für die Weißtanne hingegen sah es ganz anders aus: sie lässt sich nicht als Nacktwurzelpflanze im einfachen Pflanzverfahren kostengünstig auspflanzen, weil sie zum Heranwachsen dem Schirm älterer Pflanzen benötigt. Unter anderem aus diesem Grund ist sie selten geworden.45
In den nächsten Beiträgen geht es um einige zentrale Begriffe der Forstwissenschaft, die Bode erläutert, sowie um konkrete Beispiele, wie der Dauermischwald umsetzbar wäre. Außerdem werde ich mich auf das Heine-Projekt beziehen, in dem ich bereits eine Metaphernanalyse zum „Deutschen Wald“ geliefert habe. Worauf ich am Ende hinauskommen will, ist der Standort Rüdersdorf bei Berlin, weil es sich dabei um einen zentralen Schauplatz der Vor-, Früh- und Hochindustrialisierung handelt.
Fußnoten
1 S. 46.
2 S. 47
3 S. 58-86.
4 „Bliss“, das berühmteste Hintergrundbild | Mit offenen Augen | ARTE, URL: https://www.youtube.com/watch?v=5S8ooGkAnZU (zuletzt abgerufen am 26.1.2025).
5 S. 46.
6 S. 85.
7 S. 70.
8 S. 97-98.
9 Ein Beispiel dafür ist die Samen-und-Boden-Metaphorik in der Türkei.
10 S. 15-16.
11 S. 23. Gleichzeitig ist zu bedenken ist, dass Friedrich durchaus lange Wanderungen zum Beispiel auf Rügen unternommen hat.
12 S. 22.
13 S. 19-20.
14 S. 20-21.
15 S. 20.
16 Heine, Heinrich: Waldeinsamkeit, in:
17 S. 32.
18 S. 32.
19 S. 33-34.
20 S. 34-35.
21 S. 65-66.
22 Referenz Holznot.
23 S. 67.
24 S. 101.
25 S. 101-102.
26 S. 102.
27 S. 92-93.
28 S. 96.
29 S. 22.
30 S. 35-36.
31 S. 28.
32 S. 30.
33 Hinweis auf Hölzl.
34 S. 26.
35 S. 27.
36 S. 27.
37 S. 27-28.
38 S. 45.
39 S. 115.
40 S. 90.
41 S. 104.
42 S. 104-105.
43 S. 83.
44 S. 91-92.
45 S. 90-91.